Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Homogenisierung und Abwertung

Grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit (GMF) ist ein Über­be­griff für Denk­for­men, Ver­hal­tens­wei­sen, Ein­stel­lun­gen etc., die dar­auf abzie­len, Men­schen auf­grund der Zuord­nung zu einer bestimm­ten Grup­pe, abzu­wer­ten. Die unter­schied­li­chen Abwer­tungs- und Dis­kri­mi­nie­rungs­for­men wei­sen dabei – trotz unter­schied­li­cher his­to­ri­scher Gene­se und ver­schie­de­ner Funk­ti­ons­wei­sen – zahl­rei­che Gemein­sam­kei­ten auf. So basie­ren sie meis­tens auf der kon­stru­ier­ten Vor­stel­lung, dass alle Ange­hö­ri­gen einer Grup­pe gleich (im Sin­ne von bestimm­ten Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten, Wesens­merk­ma­len etc.) wären. Daher kommt es in der Regel zu einer Homo­ge­ni­sie­rung und Pau­scha­li­sie­rung der jewei­li­gen Grup­pe, wohin­ge­gen Dif­fe­ren­zen nicht aner­kannt wer­den. Grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit rich­tet sich zudem gegen Per­so­nen, unab­hän­gig davon, ob sie sich selbst mit der jewei­li­gen, ihnen zuge­schrie­be­nen Grup­pe iden­ti­fi­zie­ren kön­nen oder nicht. So wer­den bei­spiels­wei­se aktu­ell Geflüch­te­te aus Syri­en auf­grund von anti­mus­li­mi­schem Ras­sis­mus dis­kri­mi­niert, jedoch unab­hän­gig davon, ob jede ein­zel­ne Per­son tat­säch­lich glaubige_r Muslim_in ist oder mit dem Islam gar nichts zu tun hat. Zwar rich­ten sich Abwer­tun­gen auf Basis von Grup­pen­zu­ge­hö­rig­kei­ten nicht sel­ten gegen als „anders“ oder „fremd“ aus­ge­mach­te Per­so­nen. Sie wer­den aber auch gegen Ange­hö­ri­ge der eige­nen „Wir-Grup­pe“ wie bei­spiels­wei­se Behin­der­te, Obdach­lo­se, Arbeits­lo­se etc. eingesetzt.

Facetten der GMF

Das Kon­zept GMF wur­de für eine Lang­zeit­stu­die über feind­se­li­ge Ein­stel­lun­gen in Deutsch­land ent­wi­ckelt und vor allem von dem Jugend­so­zio­lo­gen Wil­helm Heit­mey­er geprägt. In sei­ner ursprüng­li­chen Defi­ni­ti­on beinhal­te­te es die Ele­men­te Ras­sis­mus, Frem­den­feind­lich­keit, Anti­se­mi­tis­mus, Homo­se­xu­el­len­feind­lich­keit, Abwer­tung von Obdach­lo­sen, Abwer­tung von Behin­der­ten, Islam­feind­lich­keit, Sexis­mus, Eta­blier­ten­vor­rech­te sowie die Abwer­tung von Lang­zeit­ar­beits­lo­sen. Die­se Auf­zäh­lung ist aber fern davon abge­schlos­sen zu sein, da sich GMF auch gegen neu kon­stru­ier­te Feind­bil­der rich­ten kann bzw. Grup­pen bis­lang auch von der Ana­ly­se über­se­hen wur­den. Mit der zuneh­men­den Infra­ge­stel­lung dicho­to­mer, geschlecht­li­cher Iden­ti­tä­ten stei­ger­te sich bei­spiels­wei­se auch das kri­ti­sche Bewusst­sein für Trans*sexuellen- und Trans*genderfeindlichkeit in der Gesell­schaft. Dem­entspre­chend macht die Erwei­te­rung des Kon­zepts um die­se Facet­te durch­wegs Sinn und wird z.B. von Stoppt die Rech­ten als eige­ne Kate­go­rie ange­führt. Gegen wel­che Grup­pen sich die­se Abwer­tun­gen zu einem bestimm­ten Zeit­punkt am stärks­ten rich­ten, ist folg­lich abhän­gig von gesell­schaft­li­chen und kul­tu­rel­len Ent­wick­lun­gen. Zudem hän­gen die ein­zel­nen Ele­men­te auch mit­ein­an­der zusam­men. Das bedeu­tet, dass Ras­sis­mus, Sexis­mus etc. zumeist weder los­ge­löst von ein­an­der auf­tre­ten noch als iso­lier­te Phä­no­me­ne betrach­tet wer­den kön­nen. Men­schen, sie ich abwer­tend gegen­über einer Grup­pe ver­hal­ten, wei­sen eine höhe­re Wahr­schein­lich­keit auf, auch ande­ren Grup­pen gegen­über ähn­li­ches Ver­hal­ten an den Tag zu legen.

Aufwertung und soziale Hierarchien

Der­ar­ti­ge Denk­wei­sen sind jedoch lei­der nicht nur am Rand oder im extrem Rech­ten Den­ken anzu­tref­fen, son­dern auch in der Mit­te der Gesell­schaft tief ver­an­kert. GMF sagt zudem weni­ger etwas über die benach­tei­lig­te Grup­pe aus, als über die Bedürf­nis­se von Men­schen, die Abwer­tun­gen ein­set­zen um sich selbst und der eige­nen Wir-Grup­pe „bes­se­re“ Eigen­schaf­ten zuzu­schrei­ben sowie einen vor­teil­haf­te­ren Platz in der gesell­schaft­li­chen Hier­ar­chie ein­zu­räu­men. Das bedeu­tet, dass bestimm­te Men­schen von GMF pro­fi­tie­ren indem sie ande­re abwer­ten und dadurch die Recht­fer­ti­gung zur Auf­recht­erhal­tung sozia­ler Hier­ar­chien zwi­schen Grup­pen schaf­fen. Den Kern die­ser Abwer­tun­gen machen die bereits im Kon­text der Begriffs­de­fi­ni­ti­on von Rechts­extre­mis­mus (Was ist Rechts­extre­mis­mus?) beschrie­be­ne Ideo­lo­gien der Ungleich­heit bzw. Ungleich­wer­tig­keit aus, der Irr­glau­be, dass Men­schen „von Natur aus“ „anders“ (im Sin­ne von natur­ge­ge­be­nen Eigen­schaf­ten) wären als Ande­re und daher nicht die glei­chen Rech­te und Mög­lich­kei­ten haben soll­ten wie Ange­hö­ri­ge der Mehr­heits­ge­sell­schaft. Die Vor­stel­lung von der Ungleich­heit wird folg­lich her­an­ge­zo­gen um Vor­ur­tei­le, Ste­reo­ty­pen, Abwer­tun­gen etc. zu legi­ti­mie­ren. In die­sem Sin­ne mei­nen auch Eva Groß, Andre­as Zick und Danie­la Krau­se: „Grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit wider­spricht der Wert­vor­stel­lung von Gleich­wer­tig­keit. Sie recht­fer­tigt Ideo­lo­gien der Ungleich­wer­tig­keit, die ihrer­seits sozia­le Ungleich­heit lang­fris­tig zemen­tie­ren können.“
Gera­de weil eben Gleich­heit und Gleich­wer­tig­keit aller Men­schen zu den zen­tra­len Wer­ten demo­kra­ti­scher Gesell­schaf­ten gehö­ren, scheint es umso wich­ti­ger Grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit als sol­che zu erken­nen, zu bekämp­fen und statt­des­sen Aner­ken­nung und Gleich­wer­tig­keit als Grund­pfei­ler einer tole­ran­ten und men­schen­freund­li­chen Gesell­schaft zu fördern.

Weiterführende Literatur:

Eva Groß, Andre­as Zick, Danie­la Krau­se (2012): Von der Ungleich­wer­tig­keit zur Ungleich­heit: Grup­pen­be­zo­ge­ne Men­schen­feind­lich­keit. Online unter: bpb.de