Als gemäßigt und liberal bezeichnete Kathrin Stainer-Hämmerle in der ZiB 2 den frisch gekürten blauen Präsidentschaftskandidaten Walter Rosenkranz. Vielleicht liegt die Einschätzung daran, dass die in Klagenfurt tätige Politologin aus Kärnten anderes gewöhnt ist. Oder auch daran, dass Rosenkranz tatsächlich nicht als lauter Radaubruder aufgetreten ist und diverse Äußerungen von ihm stets unter der Wahrnehmungsschwelle einer breiteren Öffentlichkeit geblieben sind. Das macht den schlagenden Burschenschafter allerdings nicht automatisch zum Liberalen.
Es sollte nach Herbert Kickl eine junge, dynamische Person sein, die für die FPÖ in den Bundespräsidentschaftswahlkampf ziehen würde. Das hat nicht ganz geklappt, mit Rosenkranz kam schließlich einer aus der älteren Parteigarde zum Zug, der wie eine Notlösung wirkt, weil Kickl als freiheitlicher Headhunter nicht erfolgreich war. Walter Rosenkranz musste nach dem jähen Aus der türkis-blauen Regierungskoalition seinen Sessel als Klubobmann für Norbert Hofer räumen und wurde selbst in die Volksanwaltschaft verräumt – ein Posten, der in der Regel das Ende einer Parteikarriere markiert.
Der studierte Jurist Rosenkranz gehört zur größeren Riege der schlagenden Burschenschafter innerhalb der FPÖ. Seine Verbindung, die Wiener akademische Burschenschaft Libertas, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. 1860 gegründet, hat sie bereits 1878 mit einem „Arierparagrafen“, der eine Mitgliedschaft von Juden in der Verbindung ausschloss, eine Vorreiterrolle als strikt antisemitische Burschenschaft eingenommen.
Noch 1967 heißt es in der offiziellen Libertas-Festschrift, die Entnazifizierung und die Absage an die NS-Ideologie nach 1945 sei ein „Kampf gegen das Deutschtum überhaupt” gewesen. Der rassistische Antisemitismus wird von Libertas nun als „Widerstand[es] gegen die Einflüsse des Judentums auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet” verharmlost und legitimiert. Gut 40 Jahre später behauptet der FPÖ-Nationalratsabgeordnete und Libertas-AH, Walter Rosenkranz, im Burschenschafter-Jubiläumsband von Martin Graf (aB! Olympia), der studentische Antisemitismus habe seinen Grund in der Tatsache, dass „überdurchschnittlich viele Juden Hörer an den Universitäten waren”. (doew.at, Jänner 2016)
Auch den von der Libertas 2008 an den neonazistischen „Bund freier Jugend“ (BFJ) verliehenen „Carl von Hochenegg-Preis“ verteidigte Rosenkranz. Mit dem 2005 ins Leben gerufenen Förderpreis wolle man „insbesondere Initiativen und Ideen würdigen, die bereits vollständig in die Tat umgesetzt wurden, oder kurz vor der Vollendung stehen“, ist auf der Libertas-Website zu lesen. Damit waren im Fall des BFJ die Kundgebungen und Veranstaltungen der neonazistischen Gruppierung rund um deren Kader Rene Hönig, Stefan Magnet und Michael Scharfmüller gemeint, mit denen „der BfJ in mutiger Weise ein Feld, das sonst quasi ausschließlich der Linken vorbehalten ist [, beanspruchte]; der BfJ sieht sich für seine volkstreuen Aktivitäten stärkster staatlicher Repression ausgesetzt.“ Rosenkranz empfand die heftige Kritik an der 2009 bekannt gewordenen Preisvergabe als „reine Diffamierung“. (…) Unsere Burschenschaft hat mit Neonazis nichts am Hut. Was die angezeigten Mitglieder des BFJ betrifft, so sind sie in erster Instanz freigesprochen worden. Den kritisierten Förderpreis gab es für Flugblätter – ‚und die waren wirklich harmlos’ ”. (Niederösterreichische Nachrichten, 2.3.09, S. 12) Nun war auf der Website der Liberten nichts von Flugblättern, dafür aber explizit von „Kundgebungen und Veranstaltungen” die Rede, die die Libertas als förderwürdig befunden hatte. Zu den Veranstaltungen zählte etwa der zwischen 2003 und 2007 jährlich organisierte „Tag der Volkstreuen Jugend”, bei dem reihenweise verurteilte Neonazis inklusive Holocaustleugner beteiligt waren. Die letzte Veranstaltung aus dieser Reihe im Jahr 2007 wurde nach einer Rede von Günter Rehak von der Polizei aufgelöst. „Staatliche Repression” heißt das wohl im Jargon der Libertas!

Website Libertas 2009: „Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten des Bundes Freier Jugend (BFJ) insbesondere in Oberösterreich. Durch seine von der Bevölkerung stark wahrgenommene Kundgebungen und Veranstaltungen beanspruchte der BFJ in mutiger Weise ein Feld, das sonst quasi ausschließlich der Linken vorbehalten ist; der BFJ sieht sich für seine volkstreuen Aktivitäten stärkster staatlicher Repression ausgesetzt.”
Ziemlich schmerzbefreit zeigte sich der damalige FPÖ-Bildungssprecher Rosenkranz auch 2014 bei einer Veranstaltung des RFS, deren Durchführung in der Wiener TU von deren Rektorin kurzerhand verboten wurde. Der Grund war ein Auftritt des Liberten Werner Kuich, der dann in ein Café verbannt seine auf der nationalsozialistischen Rassentheorie basierenden Gedanken zu Intelligenzbildung von sich gab. Kuich bedauerte, dass Studenten und Akademiker ein familienunfreundliches Umfeld vorfänden und so daran gehindert würden, ihre Intelligenz weiterzuvererben. Daher sei die Politik gefordert. „Stattdessen werden besonders bildungsferne Migrantenschichten subventioniert. Umso höher der Bildungsgrad, desto geringer ist momentan die Anzahl an Kindern pro Familie“, zitiert „unzensuriert“ aus Kuichs krudem Vortrag. Der zweite Gast am Veranstaltungspodium war Walter Rosenkranz. Der sekundierte seinem Bundesbruder
mit einem Aufruf ans junge akademische Volk des Dritten Lagers, doch wieder vermehrt in den Lehrberuf zu gehen, denn dieser sei nach dem Zweiten Weltkrieg im national-freiheitlichen Lager „nicht mehr en vogue“ gewesen. „Nicht mehr en vogue“ als Synonym für die nach 1945 ausgesprochenen Berufsverbote gegen NS-belastete Lehrer? Stattdessen sei der Lehrberuf, stellte Rosenkranz bedauernd fest, von „alt 68’er[n] und andere[n] vermeintliche[n] Weltverbesserer[n]“ gestürmt worden. (haraldwalser.at, 4.12.14)
Zuvor war Kuich in derselben Publikation des Martin Graf, in der Rosenkranz den akademischen Antisemitismus rechtfertigte, sehr viel deutlicher geworden:
„Das deutsche Volk ist auf der Straße zum Volkstod schon ein beträchtliches Stück fortgeschritten.“ Er konstatiert eine „Verringerung der Volkskraft durch fehlenden Nachwuchs und Überfremdung“, dunkle Mächte betrieben den „Versuch des geistigen Völkermordes durch bewußte Zersetzung des Volksbewußtseins.“ (haraldwalser.at, 4.12.14)
Als im Februar 2016 der inzwischen zum blauen Generalsekretär aufgestiegene Michael Schnedlitz bei einer Demonstration der Identitären in Wiener Neustadt auftrat und die rechtsextreme Truppe mit „Liebe identitäre Bewegung, ich begrüße Euch recht herzlich in Wiener Neustadt! Hier seid Ihr sehr herzlich willkommen!“ anflirtete, war auch Walter Rosenkranz mit von der Partie und säuselte in Richtung Identitäre: „Landsleute, liebe Patrioten! Ich darf euch hier auch sehr herzlich begrüßen.“

Walter Rosenkranz als Redner bei der Identitären-Demo im Februar 2016 in Wiener Neustadt (Screenshot YT)
Davon wollte Rosenkranz in einem ZiB 2‑Interview mit Armin Wolf im April 2019 offenbar nichts mehr wissen. Knapp, nachdem bekannt geworden war, dass der Christchurch-Attentäter an Martin Sellner Geld überwiesen hatte, war Rosenkranz um Abgrenzung von den Identitären bemüht. Er behauptete glatt:
Ja, ich hab sie auch nur medial so kennengelernt, dass das vor Jahren eine Gruppe von jungen Menschen waren, die eigentlich mit den Mitteln, so wie wir sie bis dato eigentlich nur von linken Aktivisten gekannt haben (…), die sich dieser Mittel bedient haben, um ihre politischen Ideen, Programme, Sorgen, Nöte in irgendeiner Form an den Mann zu bringen. Das habe ich auch ja bis vor Jahren auch für durchaus erfrischend gehalten.
Der von der neofaschistischen Truppe „nur medial” erfrischte Rosenkranz zeigte in dem Interview gleich mehrfach sein schlappes Gedächtnis. Obwohl er ab 2013 Mitglied des Ausschusses für innere Angelegenheiten und ab Juli 2016 Mitglied des für die Geheimdienste und den Verfassungsschutz der Republik zuständigen ständigen Unterausschusses war, verblüffte er, konfrontiert mit dem Verfassungsschutzbericht 2014, in dem bereits zu lesen war, dass sich bei den Identitären amtsbekannte Neonazis fänden und Kontakte in andere rechtsextremistische Szenebereiche bestünden, mit der Antwort: „Das schreibt der Verfassungsschutz, mir hat er es nicht geschrieben.“
Als Draufgabe bestritt Rosenkranz auch noch vehement die Tatsache, dass sich das identitäre „Khevenhüller-Zentrum“ in der Linzer Villa „Hagen“ des FPÖ-nahen Studentenvereins befunden habe. „Weil es einfach nicht richtig ist, dass dort die Identitären Mieter waren, einen Sitz haben etc. (…) Dann dürfte ein Mieter, welcher auch immer von diesen vielen, oder jemand anderer das fälschlich angegeben haben. Es stimmt nur nicht.“
Harald Walser, im Nationalrat als Grüner Bildungssprecher bis 2017 ein Gegenpol zu Walter Rosenkranz, charkterisiert den blauen Präsidentschaftskandidaten für „Stoppt die Rechten“ so:
Rosenkranz hat ein gefestigtes deutschnationales Weltbild und war immer so etwas wie der Chefideologe des blauen Lagers. Wenn es galt, Antisemitismus, Rassismus und NS-Verharmlosung sowie die vielen berüchtigten „Einzelfälle“ in der FPÖ zu relativieren, konnten seine oft wenig sprachbegabten Gesinnungsgenossen auf seine Rhetorik vertrauen. Was bei Diskussionen immer wieder durchgeschimmert ist, war seine Nähe zum braunen „Narrensaum“. Wer die Identitären für „durchaus erfrischend“ hält und ihnen „einen gewissen Charme“ attestiert und diesbezüglich keine Berührungsängste hat, steht außerhalb des „Verfassungsbogens“.
#FPÖ Kandidat Walter Rosenkranz exkulpierend über einen Neonazi als Security im Parlamen: „…ein junger
Mensch, wo man vielleicht landläufig sagen kann, wenn er dort mit Küssel und Konsorten herumgehüpft ist, das nennt man auch einen bledn Bua” https://t.co/c3kH7K2GXc #bpw22— Dietmar Muhlbock (@deltamikeplus) July 13, 2022
➡️ DÖW – Neues von ganz rechts — Juli 2022: Zur politischen Biografie von Walter Rosenkranz