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Rechtsextremes im letzten großen Staatsmuseum. Teil 2: Der zeitgeschichtliche Saal als Steilvorlage für rechtsextreme Umdeutungen der Geschichte

Dem Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­um (HGM) kommt als dem letz­ten Muse­um Öster­reichs, das direkt einem Minis­te­ri­um unter­steht, eine beson­de­re Bedeu­tung zu: Es reprä­sen­tiert durch die Form, wie auf die öster­rei­chi­sche Geschich­te geblickt wird, eine Art von staat­li­cher Inter­pre­ta­ti­on der his­to­ri­schen Gescheh­nis­se und Ent­wick­lun­gen. Dazu kommt: Durch das HGM wer­den Scha­ren von Bun­des­heer­sol­da­tIn­nen und auch Schul­klas­sen geschleust. Was […]

4. Sep 2019
Saal 7 HGM (Foto SdR)
Saal 7 HGM (Foto SdR)

Rechts­extre­mer Opferrevisionismus

Zu der über­bor­den­den Fül­le an Objek­ten – mit­un­ter hau­fen­wei­se Kriegs- und Pro­pa­gan­da­ma­te­ri­al –  gibt es kaum Text oder sonst irgend­wel­che kri­ti­schen Ein­bet­tun­gen. In einer Stu­die von 2011 mit dem Titel „Zeit­ge­schich­te aus­stel­len in Öster­reich“ heißt es dazu: „Die Objek­te der Aus­stel­lung Repu­blik und Dik­ta­tur wir­ken wie Requi­si­ten eines Stü­ckes, des­sen Text nicht vor­ge­ge­ben ist.“ (Leidinger/Moritz 2011, S. 42) Der Schau sei ein „illus­tra­ti­ver Cha­rak­ter zu attes­tie­ren“ (ebd.).

Dollfuß-Reliquiensammlung im HGM
Doll­fuß-Reli­qui­en­samm­lung im Saal 7 des HGM (Foto SdR 2015)

Was das kon­kret bedeu­tet, erör­tert die His­to­ri­ke­rin Ina Mar­ko­va in einem Kapi­tel ihres Buches „Die NS-Zeit im Bild­ge­dächt­nis der Zwei­ten Repu­blik“ (2018, S. 164–168). Die Autorin fin­det über­aus kri­ti­sche Wor­te für die HGM Dau­er­aus­stel­lung in Saal 7:

Gene­rell arbei­tet die Aus­stel­lung mit wenig foto­gra­fi­schem Mate­ri­al, son­dern mit meist unkon­tex­tua­li­sier­ten Objek­ten. Grund­sätz­lich ist das Nar­ra­tiv jenes des ‚Phö­nix aus der Asche’ – vom ‚Staat, den nie­mand woll­te’, zur Erfolgs­ge­schich­te der Zwei­ten Repu­blik. Das HGM ist typisch für einen Zeit­geist, der sich in rück­wärts­ge­wand­ter Manier an das ‚gro­ße Erbe’ der Mon­ar­chie klam­mert.“ (Mar­ko­va 2018, S. 164)

Zu den weni­gen Text­quel­len in Saal 7 zählt ein am Ein­gang erhält­li­ches Infor­ma­ti­ons­blatt (1), das einen Abriss der öster­rei­chi­schen Geschich­te von 1918 bis 1945 lie­fert. Der Text ist kurz und inhalt­lich frag­wür­dig. So wird etwa der Aus­tro­fa­schis­mus nicht als Faschis­mus (und geschwei­ge denn als NS-Weg­be­rei­ter im Sin­ne einer Faschi­sie­rung der Gesell­schaft) benannt, son­dern ver­harm­lo­send umschrie­ben: Die Regie­rung Doll­fuß habe 1933 „die bis­he­ri­ge demo­kra­ti­sche durch eine ‚berufs­stän­di­sche’ Ver­fas­sung“ ersetzt. Der Holo­caust wird nicht ein­mal erwähnt! Ledig­lich von „Ver­fol­gung der Juden und der Geg­ner des NS-Regimes“ ist die Rede, nicht von deren sys­te­ma­ti­scher Ermor­dung. Dafür wird der öster­rei­chi­sche Wider­stand gegen den NS überbetont:

Trotz eines all­mäh­lich erstar­ken­den Wider­stan­des und der Betei­li­gung von Öster­rei­chern am Ver­such Hit­ler am 20. Juli 1944 zu besei­ti­gen, blieb das Land ein­ge­bun­den in die poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Struk­tu­ren des Deut­schen Rei­ches, erleb­te schließ­lich von März bis Mai 1945 den Krieg auf eige­nem Boden, die Befrei­ung durch die Alli­ier­ten und die Kapi­tu­la­ti­on der Wehr­macht.

Handout HGM "Republik und Diktatur 1918-1945"
Hand­out HGM „Repu­blik und Dik­ta­tur 1918–1945”

Hier han­delt es sich um eine sehr pro­ble­ma­ti­sche Ver­zer­rung: Denn wäh­rend die öster­rei­chi­sche Betei­li­gung am NS-Ver­nich­tungs­pro­gramm bzw. dem Ver­nich­tungs­krieg in Ost­eu­ro­pa ver­schwie­gen wird, wird der ver­gleichs­wei­se mar­gi­na­le Wider­stand gegen den NS aktiv erwähnt. Zudem ist die Aus­drucks­wei­se des zitier­ten Sat­zes sug­ges­tiv und irre­füh­rend: Wäh­rend im ers­ten Teil des Sat­zes Öster­rei­cher bezüg­lich des Wider­stands gegen den NS als han­deln­de Akteu­re beschrie­ben wer­den, for­mu­liert man im zwei­ten Teil des Sat­zes die Tat­sa­che, dass erst der Sieg der Alli­ier­ten dem mör­de­ri­schen Trei­ben der deutsch-öster­rei­chi­schen Volks­ge­mein­schaft ein Ende gemacht hat, pas­siv-schick­sal­haft und euphe­mis­tisch: Das Land sei „ein­ge­bun­den“ in den NS-Staat geblie­ben und habe den Krieg „erlebt“, anstatt aktiv dar­an betei­ligt gewe­sen zu sein.

Saal 7 HGM (Foto SdR)
Saal 7 HGM (Foto SdR 2015)

Auch in einer Publi­ka­ti­on des HGM von 2016 fin­den sich befremd­li­che For­mu­lie­run­gen hin­sicht­lich der öster­rei­chi­schen NS-Ver­gan­gen­heit. Der dor­ti­ge Text zu Saal 7 gleicht jenem Info­blatt über wei­te Tei­le aufs Wort. Dan­kens­wer­ter­wei­se wird hier wenigs­tens erwähnt, dass der Aus­tro­fa­schis­mus ein „auto­ri­tä­res Regime“ war, „unter dem auch die Ver­fas­sung auf­ge­ho­ben wur­de“ (HGM 2016, S. 130). Auch der Abschnitt zu Öster­reich als Teil des NS-Regimes stimmt weit­ge­hend mit dem oben zitier­ten über­ein, aller­dings gibt es in der Publi­ka­ti­on einen zusätz­li­chen Satz, der Bilanz zu den öster­rei­chi­schen Todes­op­fern zieht. Dabei wer­den Opfer der Sho­ah und gefal­le­ne Wehr­macht­sol­da­ten ohne jede Unter­schei­dung dargestellt:

Zieht man Bilanz, so gilt es fest­zu­hal­ten, dass Öster­reich als Teil des Groß­deut­schen Rei­ches rund 1,2 Mil­lio­nen Sol­da­ten zu stel­len gehabt hat­te, dass eine Vier­tel­mil­lio­nen [sic!] von ihnen gefal­len oder ver­misst war, dass rund 65.000 öster­rei­chi­sche Juden getö­tet wor­den waren und schließ­lich der Luft­krieg und die Kämp­fe auf öster­rei­chi­schem Boden die Gesamt­zahl der Opfer der NS-Zeit auf 380.000 Men­schen hat­te anwach­sen las­sen.“ (ebd., S. 131)

Publikation Ortner BMLVS
Publi­ka­ti­on Ort­ner BMLVS 2016

Die Opfer des NS-Ver­nich­tungs­pro­gramms und Wehr­macht­sol­da­ten unter die „Gesamt­zahl der Opfer“ zu sub­su­mie­ren ist nichts ande­res als eine Steil­vor­la­ge für rechts­extre­me und revi­sio­nis­ti­sche Umdeu­tun­gen der Geschich­te. Dass öster­rei­chi­sche Wehr­macht­sol­da­ten auch Täter waren, wird frei­lich auch hier nicht erwähnt. Als Medi­en­in­ha­ber, Her­aus­ge­ber und Her­stel­ler wird in der Publi­ka­ti­on übri­gens ange­ge­ben: Repu­blik Österreich/Bundesminister für Lan­des­ver­tei­di­gung und Sport.

zu Teil 1: Das HGM als iden­ti­tä­re Projektionsfläche
zu Teil 3: Rechts­extre­me Lite­ra­tur und Wehr­machts­pan­zer im Museumsshop
zu Teil 4: Eine Pan­zer­schau mit NS-Reliquien
zu Teil 5: Der Minis­ter lässt die Vor­wür­fe prüfen

Fuß­no­ten

HGM-Info­blatt von Saal 7: „Repu­blik und Dik­ta­tur – Öster­reich 1918 bis 1945“; bei einem HGM-Besuch im Mai 2019 entnommen.

Lite­ra­tur

Lei­din­ger, Hannes/Moritz, Vere­na (2011): Die Last der His­to­rie. Das Hee­res­ge­schicht­li­che Muse­um in Wien und die Dar­stel­lung der Geschich­te bis 1945. In Rupnow/Uhl (Hg.): Zeit­ge­schich­te aus­stel­len in Öster­reich: Muse­en – Gedenk­stät­ten – Aus­stel­lun­gen. Wien: Böhlau Ver­lag, S. 15–44.
Mar­ko­va, Ina (2018): Die NS-Zeit im Bild­ge­dächt­nis der Zwei­ten Repu­blik. Band 6, Der Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­ne Fol­gen. Innsbruck/Wien/Bozen: Stu­di­en­Ver­lag, S. 164–168.
Ort­ner, Chris­ti­an et al. (2016): Hee­res­ge­schicht­li­ches Muse­um im Wie­ner Arse­nal. Eine Publi­ka­ti­on des Hee­res­ge­schicht­li­chen Muse­um. Medi­en­in­ha­ber, Her­aus­ge­ber und Her­stel­ler: Repu­blik Österreich/Bundesminister für Lan­des­ver­tei­di­gung und Sport, BMLVS. Wien: Ver­lag Mili­ta­ria GmbH.