Der Reihe nach: Strache hat seine Verse schon 2012 auf die Pinnwand seiner Facebook-Seite gestellt, allerdings in einer „verhatschten“ Form:
„Noch sitzt Ihr da oben, Ihr feigen Gesellen.
Vom Feinde bezahlt, doch dem Volke zum Spott!
Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten,
dann richtet das Volk, dann gnade Euch Gott!”
Natürlich müsste es „Ihr feigen Gestalten“ heißen, damit es sich auf „walten“ reimt. Aber das ist dabei noch das geringste Problem. Strache versah die Verse mit einem Hinweis auf den vermeintlichen Urheber „Theodor Körner (1791–1813)“ und der mahnenden Frage: „Gedanken zur Eurokratie?“
Seit Jahren schon kursieren die Verse in den sozialen Netzwerken und erfreuen sich großer und ungebrochener Beliebtheit bei denen, die schon die Volksgerichte für die vom Feind bezahlten Volksverräter „da oben“ geistig einüben. Natürlich lassen sich die Verse nicht nur gegen die von Strache vorgeschlagene Eurokratie einspannen, sondern gegen alle, die „da oben“ sitzen. Da wird nicht sehr genau differenziert.
Jetzt sitzt Strache „da oben“, was ein Problem bei der Verwendung der Verse darstellen könnte. Aber die Reime sind eingängig und stammen außerdem von dem in Burschenschafterkreisen sehr beliebten deutschen Dichter Theodor Körner – oder doch nicht?
Erhard Jöst beschäftigt sich schon lange mit dem Werk von Theodor Körner. In seiner Arbeit „Opfertod fürs Vaterland“, erschienen in dem 2015 von Clauda Glunz und Thomas F. Schneider herausgegebenen Buch „Dichtung und Wahrheit: Literarische Kriegsverarbeitung vom 17. bis zum 20. Jahrhundert“, entmystifiziert Jöst den Dichter Körner und beschäftigt sich dabei auch mit den ihm zugeschriebenen Versen:
„Das angebliche Zitat, das man auch auf großen Spruchbändern bei Demonstrationen der Pegida immer wieder lesen konnte, ist eine Fälschung, die Körners agitatorischen Stil raffiniert imitiert. Allerdings hat Körner den Regenten seiner Zeit nie gedroht, im Gegenteil.“ (S. 29)
Körner hat die gekrönten Häupter seiner Zeit immer mit Lobpreisungen überschüttet, berichtet Jöst und führt dafür etliche Belege an:
„Theodor Körner hatte keine politische Konzeption, er träumte auch nicht von einer Revolution der bestehenden Gesellschaftsordnung. Es ging ihm allein darum, gegen die Franzosen zu kämpfen und die deutschen Fürstentümer von ihrer Fremdherrschaft zu befreien.“ (S. 30)
Auf der Suche nach der Herkunft der falschen Körner-Verse ist Jöst zunächst auf das neonazistische MUPInfo gestoßen, hat dann aber nach der Drucklegung entdeckt, dass der braune Spruch schon vorher, nämlich bei der berüchtigten Revisionisten-Veranstaltung im Münchner Löwenbräu mit David Irving am 21.4.1990 von Ewald Althans vorgetragen wurde. Ob ihn der Neonazi Althans auch zusammengereimt hat, ist unklar – von Theodor Körner ist er jedenfalls nicht. (1)
Und damit liegt Strache (und mit ihm die rechtsextremen Gestalten, die sich auf Körner berufen) wieder einmal völlig daneben. Im eigenen Interesse wäre ihm zu empfehlen, den Spruch zu löschen. Wer weiß, auf welche Ideen sonst Rechtsextreme noch kommen!
P.S.: Die Doku „Wahrheit macht frei“ aus dem Jahr 1991, in der Ewald Althans die Verse (ab 24‘15‘‘) herunterspult, ist übrigens auch aus anderen Gründen sehenswert. Schon in den ersten Minuten kann man einen Küssel-Jünger sehen, der’s mittlerweile bis in die Stabsstelle eines Ministeriums geschafft hat. Stichwort: die „da oben“, „feige Gestalten“, vom „Feinde bezahlt“ usw. …
1 Siehe dazu auch den Blog des Literaturwissenschafters Gerald Krieghofer: http://falschzitate.blogspot.com/2018/02/noch-sitzt-ihr-da-oben-ihr-feigen.html