Wieso spielen sich FPÖler als Beschützer von Juden auf? Und was haben muslimische Flüchtlinge damit zu tun? Ein Interview mit dem Rechtsextremismus-Forscher Andreas Peham. Von Kerstin Kellermann.
Durch die IS-Anschläge in anderen Ländern und durch permanente Propaganda werden Flüchtlinge von vielen in Österreich als Bedrohung wahrgenommen. Rechtsextreme werden kaum noch erwähnt. Ist es nicht erstaunlich, dass in Österreich die Flüchtlinge den Rechtsextremen hinsichtlich möglicher Gefährlichkeit den Rang abgelaufen haben?
Diese Verschiebung von Bedrohung auf die Flüchtlinge, und die Tatsache, dass Neonazismus und Rechtsextremismus nicht mehr in diesem Ausmaß als gefährlich gesehen werden, ist selbst Teil des Rechtsruckes. Dieser Rechtsruck und diese Verschiebung wurden nicht nur von der extremen Rechten im eigenen Interesse forciert, sondern vor allem die Boulevard-Medien haben da fleißig mitverschoben, wenn wir bei dem Bild bleiben. Tatsächlich steht die irrationale Angst vor den Geflüchteten im Widerspruch zur realen Angst der Geflüchteten und den Zahlen, wie wir sie vom Innenministerium bekommen, nämlich dass die Anzahl von gewalttätigen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte sich von 2015 auf 2016 verdoppelt hat. Heuer wird die Zahl noch einmal wachsen, wobei wir letztes Jahr schon bei fünfzig gewalttätigen Angriffen auf Flüchtlingsheime waren. Ein anderer Punkt: Selbst wenn FPÖ und Boulevard gemeinsam behaupten, die Morde in Linz seien ein islamistischer Angriff gewesen, so stimmt das nicht. Dieser psychisch schwer belastete, tunesische Mann tötete ein ihm bekanntes Pensionisten-Ehepaar. Es bleibt die Frage, ob einzelne Vertreter der Polizei wider besseres Wissen, die Morde für den Boulevard und die FPÖ als IS-Terror qualifiziert haben. Es wird aber nichts überbleiben. Gleiches gilt für die Amokfahrt in Graz. Es geht bei Rassismus und Antisemitismus nie um Realität, es geht um Bilder und um Bedrohungsszenarien, die im Fall des Islamisms aber zumindest auf internationaler Ebene einen wahren Kern haben. Islamismus und Dschihadismus sind international eine Gefahr, aber in Österreich ist der Neonazismus eine größere Gefahr und auf politischer Ebene der Rechtsextremismus. Diese Wahrheit zu verdecken, ist aus Perspektive der extremen Rechten durchaus logisch und sie machen das leider mit Erfolg — das Bedrohungsbild hat sich ausgetauscht.

In diesem Zusammenhang denken viele, zumindest im Internet, dass die AFDler und andere Rechtsextreme die besseren Beschützer von Juden wären?
Das ist natürlich Demagogie. Man braucht im Fall der AFD bzw. der FPÖ nur auf den Antisemitismus in den Reihen dieser beiden Parteien hinweisen. Diese Vorfälle sind keine Einzelfälle, sondern haben System. Das Systematische am Antisemitismus beider Parteien liegt im Völkischen, das sie repräsentieren. Zum Völkischen hat sich sogar die gar nicht so weit rechts außen stehende Frauke Petry bekannt, als sie verlangte, dass „das Völkische“, sozusagen als Begriff, rehabilitiert werden soll. Es gibt das Völkische aber nicht ohne das Antisemitische.
Erläutern Sie diesen Zusammenhang bitte noch genauer?
Im Zentrum des Völkischen steht nicht das Individuum wie im Liberalismus, sondern das Volk. Das Volk aber nicht als politische Gemeinschaft verstanden, sondern als „natürliche Abstammungsgemeinschaft“. Dieses „Volk“ bildet dann eine homogene Gruppe, in der es angeblich keine Konflikte gibt. Diese Vorstellung steht aber im Widerspruch zur Realität und funktioniert einfach nicht. Das zeigte auch der Nationalsozialismus ganz deutlich. So eine Gemeinschaft kann nur mit Zwang hergestellt werden, indem zum Beispiel die Gewerkschaften verboten werden, die divergierenden Interessen unterdrückt — dann gibt es Homogenität. Das traut sich aber heute keiner sagen. Die Forderung nach Volksgemeinschaft eint beide Parteien und dieser Volksgemeinschafts-Ideologie liegt der Antisemitismus zugrunde. Denn es stellt sich die Frage, wie kann man dann die Realität mit all ihren sozialen Konflikten, Geschlechter Konflikten oder Generationen Konflikten erklären? Wie kann man alle diese Konflikte begründen, wenn man so einem Volksgemeinschafts-Dünkel anhängt? Indem man die unterschiedlichen Interessenkonflikte zum Werk von Sündenböcken erklärt! Als solche bieten sich bis heute vor allem Juden und Jüdinnen an, die seit jeher als jene halluziniert werden, die von außen und gleichzeitig innen die Gemeinschaft „zersetzen“ würden. Das ist das Antisemitische an dieser Volksgemeinschafts-Ideologie. Die kommt auch aktuell nicht ohne Antisemitismus aus. Der Antisemitismus ist also in der Weltanschauung dieser beiden Parteien verankert, aber nach außen herrscht das Bekenntnis vor, gegen Antisemitismus zu sein. Auf diese Weise geht dann diese Inszenierung auf. Dass nämlich Juden keine besseren Beschützer als die Rechtsextremen hätten.
Wie spielt der Nahost-Konflikt in diese Inszenierung hinein?
Die Beschützer-Ideologie besitzt einen gewissen wahren Kern. AFD und die FPÖ haben Israel für sich entdeckt. Israel als jüdische Heimstatt, auch als Konsequenz der Shoah, Israel aber vor allem als Vorposten des christlichen Abendlandes, das weiten sie dann aus – des christlich-jüdischen Abendlandes. Was auch eine skandalöse Geschichtsfälschung ist, denn ein christlich-jüdisches Abendland hat es bekanntlich nie gegeben. Israel wird zum Vorposten gegen die Araber, wie es früher geheißen hat, oder heute gegen den Islam. Man verkennt den Nahost-Konflikt, man sieht nicht mehr, dass dieser ein territorialer Konflikt ist, sondern er wird zu einem interreligiösen Konflikt apokalyptischen Ausmaßes. Das ist, bezeichnenderweise, eine ähnliche Sichtweise wie die der Islamisten. Auf diese Weise wird der Nahost-Konflikt unlösbar. Außer in einer apokalyptischen Endschlacht — darauf läuft es hinaus. Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt: Beide Parteien zeigen sich sozusagen solidarisch mit Israel, sind aber trotzdem antisemitisch. Wie geht das? Indem man die Feindgruppe spaltet. Es gibt die „guten Juden“, das wären, umgelegt auf Israel, die „Muskeljuden“, von denen Max Nordau im frühen 20. Jahrhundert geschrieben hat. Die kämpferischen Juden, eine Art jüdisch-nationalistischer Variante des „weißen Mannes“, der die Last der Zivilisation in das Dunkel des Morgenlandes bringt. Das erlaubt ihnen die Solidarität. Dann gibt es noch die „bösen Juden“, die als die „Lügenpresse“, „die amerikanische Ostküste“, die „Hochfinanz“, die „großstädtischen Zersetzungsdenker“ und wie sie alle heißen, umschrieben werden. Dieses Muster zeigte schon das Beispiel der deutschen National-Zeitung bis in die späten 1970er Jahre auf. Teils war die Berichterstattung israelverklärt — Mosche Dajan wurde zum Beispiel zum „neuen Rommel“ erklärt, teils wurde gegen Wiedergutmachung agitiert und gegen die „amerikanische Ostküste“ gehetzt. Das ging schon einmal zusammen und warum soll es heute nicht wieder zusammen gehen? Ich staune immer wieder, wie leicht auch die so genannten kritischen Medien der FPÖ dazu beitragen, dass diese Inszenierung aufgeht.
Zur Person: Andreas Peham arbeitet seit 1996 als Rechtsextremismusforscher beim Dokmentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes. Peham war zudem langjähriger Berichterstatter für das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Antisemitism and Racism an der Universität Tel Aviv und ist Gründungsmitglied der Forschungsgruppe Ideologien und Politiken der Ungleichheit. Im Frühjahr erscheint in der theorie.org-Reihe des Schmetterlingsverlags sein neues Buch „Kritik des Antisemitismus“.