„In Israel wurde neben mir eine Frau erschossen“

Opfer aller Arten für sich gewin­nen und das Ansprechen des Todes­the­mas sind zwei bewusste oder unbe­wusste Strate­gien, die der Präsi­den­schafts-Kan­di­dat Hofer ver­fol­gt, um Wäh­ler­stim­men zu erhal­ten. Von Ker­stin Kellermann. 

Jet­zt hat Nor­bert Hofer es schon wieder getan, und zwar dop­pelt, im Fernseh-Inter­view beim Jour­nal­is­ten Armin Wolf: Ein­er­seits sich als das „wahre Opfer“ stil­isiert, weil ein „Link­er“ „hatschert­er FPÖ-ler“ zu ihm gesagt hätte. Eine Dif­famierung für jemand, der am Stock gehen muss, natür­lich, aber trotz­dem ein Hin­weis an all’ die Opfer draußen vor den Bild­schir­men. Nor­bert Hofer sendet ganz bewußt Sig­nale an Men­schen, die Opfer von schlim­men Umstän­den wur­den. Egal, ob die Gründe und der Hin­ter­grund dafür nun selb­st ver­schuldet, Folge von zu viel Risiko und Grandiosität sind oder ein­fach nur Pech. Oder von sozialen Umstän­den und Verän­derun­gen in der glob­al­isierten Welt geprägt.

Es ist schon etwas Neues, eine gän­zlich neue Tak­tik, wenn ein FPÖ-ler seine eige­nen per­sön­lichen Opfer­seit­en herzeigt und sich nicht nur über­bor­dend als möglich­er Angreifer oder sog­ar Täter gener­iert. Aber das ist eben der psy­chol­o­gis­che Trick, die mit­men­schliche Botschaft des Nor­bert Hofer: Opfer kön­nen sich aufrap­peln und dann wieder andere Men­schen kom­mandieren – sog­ar eine Regierung, die nicht in Rich­tung auf Unternehmer­wün­sche pari­ert, son­dern die Steuern erhöht. Trotz Rechnungshof!

Die Botschaft dazu: Liebe Opfer aller Kon­sorten, sol­i­darisiert euch mit mir und wir wer­den zurückschla­gen, „die Täter“ in die Enge treiben und uns als die besseren Täter beweisen. Ein Hoff­nungsver­sprechen für alle geplagten Men­schen. Auf diese Weise wer­den dann Flüchtlinge bei Hofer zu „Inva­soren“ und Mitkan­di­dat Van der Bellen zu einem „grü­nen faschis­tis­chen (!) Diktator“.

Auf Leben und Tod

Die zweite Tak­tik, die Hofer ver­fol­gt und die noch viel per­fider ist und eventuell stark unbe­wusst wirkt, ist das Ansprechen des Todes­the­mas. Im Zeit im Bild 2‑Interview erfol­gte das auf diese Weise: „In Israel wurde neben mir eine Frau erschossen!“ Und das in Beant­wor­tung des Vorhaltes, dass er eventuell gar nicht in Jerusalem gewe­sen sei und gar nicht mit der Vizepräsi­dentin des israelis­chen Par­la­mentes gesprochen hätte.

Nun muss man wis­sen, dass das Todes­the­ma ein Faszi­nosum für viele Men­schen darstellt und viele Erin­nerun­gen und Erfahrun­gen her­aufruft. Innere Bilder. Beson­ders für Sol­dat­en der diversen Kriege, aber auch für von Flucht und Vertrei­bung betrof­fene Men­schen, die Tote und Ermordete sehen mussten. Das Erschießen ein­er Frau, direkt neben einem, ist ein stark­er Trig­ger für tiefe Gefüh­le, ein Aus­lös­er für alte Emo­tio­nen. Nun muss man auch einem Poli­tik­er zugeste­hen, dass er natür­lich von der Ermor­dung der armen Frau (laut israelis­ch­er Polizei wurde sie nur angeschossen) beein­druckt war und dass dieser Umstand eventuell dazu führte, dass er seit­dem eine Glock­pis­tole mit sich trägt. Trotz­dem: So ein The­ma anzus­prechen, um einen Wahrheits­be­weis anzutreten (auf Tod und Leben!) schreck­te viele Zuschauer auf ihrem Sofa auf.

Macht über Leben und Tod

Das Todes­the­ma muss jet­zt nicht unbe­d­ingt mit FPÖ-Ide­olo­gien zu tun haben und damit, das der 8. Mai für Nor­bert Hofer kein Tag der Befeiung war, doch es wirkt bei den öster­re­ichis­chen Zuschauern unbe­wußt garantiert bis in den Ersten und Zweit­en Weltkrieg zurück. Zur Fasz­i­na­tion des Todes­the­mas gibt es viele The­o­rien: Die Philosphin Han­nah Arendt zum Beispiel meinte, dass der Anti­semitismus nur ein Köder war, um die Men­schen zu dem eigentlichen Faszi­nosum der Nazis hinzuführen — dem The­ma Tod und Mord (eine fast nor­male Reak­tion auf die 17 Mil­lio­nen Toten des Ersten Weltkrieges, dem ersten mech­a­nisierten Krieg mit Gasan­grif­f­en, die aber von den Nazis zu ein­er Ver­ar­beitung über eigenes Täter­tum gedreht wurde). Der Auschwitz-Über­lebende Imre Kertesz meinte, dass der Anti­semit von heute nicht mehr gegen „den Juden“ ist, son­dern eine Form von „Auschwitz will“ — sprich Macht über Leben und Tod von Grup­pen von Men­schen, ohne indus­tri­al­isierten Mord.

Mit dem The­ma Mord und Todes­bedro­hung müsste ein Poli­tik­er, der selb­st fast gestor­ben wäre, und der öffentlich die Korn­blume am Revers trug, eigentlich sehr vor­sichtig umge­hen, sog­ar wenn er ern­sthaft befürcht­en würde, dass ihn „Inva­soren“ oder „faschis­tis­che Dik­ta­toren“ bedro­hen. Dass Nor­bert Hofer aber dieses The­ma benutzt, um tiefe Gefüh­le her­vorzu­rufen (auf Leben und Tod!), ist zu verdeut­lichen und zurückzuweisen.