Eskalation
Ja, es gab noch etwas anderes: Im Vorfeld der Proteste kam es zu einer massiven Eskalation seitens der Polizei. Die Kundgebung des „Jetzt Zeichen setzen”-Bündnisses wurde untersagt und das, obwohl der Wiener Polizeipräsident letztes Jahr bestätigte, dass die Kundgebung friedlich und ohne Probleme verlaufen ist (wie die anderen Demonstrationen auch). Kundgebungen, die die FPÖ im Vorjahr angemeldet hatte, wurden aus Sicherheitsbedenken untersagt. Dieses Jahr hat die Polizei die Sicherheitsbedenken nicht nur über Bord geworfen, sie wollte die Kundgebung des „Jetzt Zeichen setzen”-Bündnis neben der FPÖ-Kundgebung am Maria-Theresien-Platz plazieren. Das konnte und wollte das Bündnis (auch) aus Sicherheitsbedenken richtigerweise nicht akzeptieren. Das Resultat: Die FPÖ verzichtete auf ihre Kundgebung – die Polizeiführung sollte sich beim nächsten Mal gut überlegen, ob sie sich von der FPÖ noch einmal so an der Nase herumführen lässt.
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Ausnahmezustand
Aber die Polizei eskalierte weiter. Sie verhängte für die Bezirke 1 bis 9 ein Vermummungsverbot. Gegenstände, die geeignet sind Gesichtszüge zu verbergen, konnten von der Polizei beschlagnahmt werden und die Polizei konnte eine hohe Geldstrafe bzw. eine Freiheitsstrafe verhängen. Wer also an diesem schönen Winterabend am Praterstern mit Schal spazieren ging, geriet in Gefahr polizeilich behandelt zu werden. Laut dem Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk ist ein solches rigoroses Vermummungsverbot „unverhältnismäßig”.
Das ging der Polizei aber noch nicht weit genug, sie machte in der Innenstadt ein Gebiet so groß wie die Stadt Eisenstadt zum Sperrgebiet. Das Gebiet war größer als beim Besuch des damaligen US-Präsidenten George Bush. Offenbar sind RechtsextremistInnen wie Kevin Gareth Hauer, Burschenschafter der Bonner Raczeks, die sich innerhalb der Deutschen Burschenschaften für die Reinheit des “deutschen Stammes” einsetzen, schützenswerter als der US-Präsident.
Aber auch das reichte der Wiener Polizeiführung noch immer nicht. Sie verhängte ein Platzverbot auch für JournalistInnen. Nur innerhalb einer Dreiviertelstunde durften JournalistInnen in Polizeibegleitung in die Sperrzone und unter Aufsicht eines Polizeisprechers berichten. Als „Nordkoreanische Zustände” kritisierte das der Präsident der Journalistengewerkschaft, Franz C. Bauer. ORF, Puls 4 und DerStandard wehrten sich vergeblich gegen diese Pressezensur durch die Behörden.
Maria Sterkl, Standard-Journalistin, forderte in einem Kommentar,
dass Wiens Bevölkerung erfährt, welch außerordentlich große Gefahr ihr am Freitag droht. (…) Wenn es die Exekutive für nötig erachtet, die Rechte der Menschen, sich frei zu bewegen, sich frei zu versammeln und freie Medienberichterstattung zu genießen, einzuschränken, dann aber bitte mit einer ausführlichen Erklärung, welchem Zweck das alles dienen soll.
Massive Polizeigewalt
Die Infozentrale des OGR-Bündnis vermeldete bereits um 21 Uhr: „Infozentrale wird zu Lazarett” Fünf Rettungswägen und zwei Katastrophenzüge der Wiener Rettung mussten die Opfer von Polizeigewalt versorgen. Selbst der Chef der Wiener Rettung fand sich in der Infozentrale ein. „Es kam zum Einsatz von Tränengas, Pfefferspray und Schlagstöcken. Viele Demonstrant_innen warem schlimm zugerichtet. Diese exzessive Polizeigewalt ist ein Skandal”, zeigt sich die OGR-Aktivistin Rosa L. entsetzt. Eine andere Aktivistin, Clara Z., berichtete:
Die Personen sahen sehr schlimm zugerichtet aus, es bedurfte eines sehr langen Rettungseinsatzes, um alle zu versorgen. Einige Leute mussten geführt werden, weil sie auf Grund des Pfeffersprays die Augen nicht mehr öffnen konnten. Andere hatten heftige Platzwunden. Wir sind sehr schockiert und danken der Wiener Berufsrettung für ihren schnellen Einsatz.
Das NOWKR-Bündnis berichte ebenfalls von dutzenden Verletzten, dabei gab es nicht nur blaue Flecken und Folgen von Tränengas, sondern einige Knochenbrüche und Platzwunden durch exzessive Schlagstockeinsätze. Darunter auch ein Standard-Journalist.
Videoaufnahmen belegen auch, dass Polizeibusse gezielt in Menschengruppen gefahren wurden. Eine derartige Brutalität seitens der Polizei ist durch nichts zu rechtfertigen”, zeigt sich Elisabeth Litwak empört. „Doch damit nicht genug: Demonstrant_innen wurden stundenlang bei Minustemperaturen in Polizeikesseln festgehalten.
Polizei bereitete sich auf die Stürmung der Akademie der Bildenden Künste vor
In der Nacht der Proteste wurde die Akademie der Bildenden Künste von Polizeieinheiten umstellt. Dort fand eine Lehrveranstaltung und ein „Tag der offenen Tür” statt. Alle anwesenden StudentInnen und BesucherInnen des Rundgangs galten laut Aussage des zuständigen Behördenleiters als „verdächtig”. Die Rektorin der Akademie, Eva Blimlinger, konnte eine Erstürmung gerade noch verhindern.
„Mehr als 100 Gäste wurden festgehalten. Von allen Anwesenden wurden Personalien aufgenommen, etliche von den Einsatzkräften festgehalten und verletzt. Die zeitliche Nähe zu der zuvor stattfindenden Kunst-Auktion zugunsten von Flüchtlingen lässt auf einen willkürlichen Akt von Polizeigewalt schließen”, berichtet oehakbild.info. Blimlinger forderte den Rücktritt der Verantwortlichen in der Polizeispitze.
Chaotische Polizei
Bei weitem nicht alle PolizistInnen beteiligten sich an dieser Polizeigewalt. Ganz im Gegenteil, die meisten PolizistInnen bei Absperrungen waren freundlich bis desinteressiert. Dort, wo es zu Polizeigewalt kam, war das durch die eskalative Strategie der Wiener Polizeiführung verursacht. So z.B. hinter dem Burgtheater, wo die Polizei DemonstrantInnen einkesseln wollte und dabei selbst von diesen „eingekesselt” wurde und dann in Panik versuchte, ihre KollegInnen zu befreien. Oder am Stephansplatz, wo die dafür ausgebildete WEGA seelenruhig zusah, wie ihre meist jungen KollegInnen in Unterzahl versuchten die Demonstration aufzuhalten.
Dutzende Polizeiwägen wurden sinnlos von A nach B geschickt, drehten dort um, fuhren zurück, nur um wieder umzukehren. Die Sperrzone in der Babenbergerstraße war offen, man konnte unter Aufsicht der Polizei darin spazieren gehen. Taxis wurden aufgehalten, die Polizei schubste die DemonstrantInnen beiseite, die Polizei wendete sich ab, das nächste Taxi wurde aufgehalten – das Spiel begann von Neuem.
Welchen Sinn das Ganze haben sollte, das wird nicht einmal die Wiener Polizeiführung wissen. Die Sperrzone war zu groß, um sie effektiv zu schützen, die PolizistInnen waren aufgrund des chaotischen Verhaltens ihrer Vorgesetzen heillos überfordert.
Das Versagen der SPÖ
Die SPÖ, teilnehmende Organisation im „Jetzt Zeichen setzen”-Bündnis, distanzierte sich schon lange im Vorfeld der Proteste anlässlich des „Akademikerballs” von den erwartbaren Protesten (anders als SPÖ-Vorfeldorganisationen wie VSSTÖ und SJ, die aktiv an den Protesten teilnahmen).
Werner Faymann verkündete, dass er gegen ein Verbot des „Akademikerballs” in der Hofburg sei. Die Frage bleibt, was wäre gewesen, wenn die SPÖ an den Protesten teilgenommen hätte? Wäre es dem „Jetzt Zeichen setzen”-Bündnis möglich gewesen, am Heldenplatz zu protestieren? Hätte die Polizei eine deeskalierende Strategie anwenden müssen? Wäre es dann nicht zu den zahlreichen Verletzungen gekommen, hätten dutzende Verletzte verhindert werden können, Knochenbrüche, Platzwunden?
Der Erfolg der Proteste
8.000 DemonstrantInnen ließen sich von diesem eskalativen Verhalten der Polizeiführung nicht einschüchtern und protestierten in mehreren Zügen lautstark. Nervige Böller wurden geworfen, dabei blieb es aber. „Trotz einer massiven Einschränkung bürgerlicher Grundrechte durch die Polizeiführung und einer Vorgehensweise, die von exzessiver Gewaltausübung geprägt wurde, ließen es sich tausende Aktivist_innen nicht nehmen, ihren Protest auf die Straße zu tragen”, so NoWKR-Sprecherin Elisabeth Litwak. Dagegen steht die immer kleiner werdende Gästezahl des Burschenschafter-Ball. Dieses Jahr kamen gerademal 400 BesucherInnen.
Medien
Was in der heimischen Presselandschaft für Aufregung sorgte, das war der BBC nur einen Bildkommentar wert: „Some minor incidents of violence were reported at the rallies.” Bleiben wir bei den Fakten: Schaufenster gegen fünf Krankenwägen und zwei Katastrophenzüge. Umgeworfene Blumentöpfe gegen zahlreiche Knochenbrüche. Abmontierte Misteimer gegen Polizeibusse, die in Menschenmengen fahren. „Minor incidents of violence” gegen ein außer Kraft setzen bürgerlicher Grundrechte.
Was war das?
Probte der Sicherheitsapparat für einen imaginären staatlichen Notstand? Das fragte Rubina Möhring in einem Blogbeitrag im Standard:
Da wurde, so wirkt es jedenfalls, der Schutz einer FPÖ-nahen Veranstaltung mit allem Pomp und Trara zur Probebühne für einen nationalen Notstand umfunktioniert. Alle Regeln der Presse- und Informationsfreiheit wurden ignoriert. In welcher Welt leben wir hier? In der einer zunehmenden, demokratiepolitischen Verunsicherung?
⇒ sumetcogito — Der Schwarze Block soll Staatsräson zeigen – Minor incidents in Vienna
⇒ juedische.at — Wiener Polizei schützt rechtsradikalen Ball