Pussy Riot, Strache und die „Meinungsurteile“

Mit sein­er pro­vokan­ten Ein­schätzung von Urteilen etwa wegen Ver­het­zung als „Mei­n­ung­surteilen“ hat FPÖ-Chef Stra­che nur bei weni­gen für Auf­se­hen gesorgt. Welch brisante Bedeu­tung diese Posi­tion von Stra­che hat, wurde in der öffentlichen Debat­te fak­tisch nicht zur Ken­nt­nis genom­men. Ein Kom­men­tar des Top-Juris­ten Robert Mik­lau in der „Presse“ schafft Klarheit.

In den Kom­men­tarspal­ten der „Presse“ gab es in den let­zten Wochen einige merk­würdi­ge Kom­mentare zur Verurteilung der Kün­st­lerin­nen­gruppe Pussy Riot durch die rus­sis­che Jus­tiz. Etwa den des Schrift­stellers Karl Wei­dinger, der sich zu ver­we­ge­nen bis abstrusen „Gedanken­ex­per­i­menten“ hin­reißen ließ: was wäre los, wenn die Aktion von Pussy Riot in ein­er Moschee oder in ein­er Syn­a­goge stattge­fun­den hätte? Wei­dinger imag­iniert sich drastis­che Urteile wegen Ver­het­zung oder – im Fall ein­er Syn­a­goge – wegen eines Ver­brechens nach dem NS-Ver­bots­ge­setz. Absurd! Damit wird die Het­ze gegen Grup­pen bzw. Reli­gio­nen oder die Leug­nung des Holo­caust ver­glichen mit einem poli­tis­chen Protest, der sich gegen Putin und dessen Unter­stützung durch die Amt­sträger der rus­sis­chen Ortho­dox­ie richtet!


freepussyriot.org
-

Zu Urteilen nach dem NS-Ver­bots­ge­setz will Wei­dinger wis­sen: „Dabei wer­den in der Regel Strafen mit Jahreszahlen im oberen ein­stel­li­gen Bere­ich aus­ge­sprochen“ (Presse, 23.8.2012). Wo lebt der Mann? Dass er die Frauen von Pussy Riot als „Gen­i­tal-Ran­daliererin­nen“ beze­ich­net, „die nach Strafende gemachte – und im lüster­nen West­en begehrte – Frauen sein wer­den“, run­det seinen trüben Blick auf die poli­tis­che Wirk­lichkeit nur noch weit­er ab.

Wenige Tage später set­zt der Recht­san­walt und Präsi­dent des Klubs Unab­hängiger Lib­eraler, Georg Vet­ter, nach. Er bleibt bei den phan­tasievollen, wirkungsmächti­gen, aber abstrusen Bildern und Ver­gle­ichen von Wei­dinger und fragt sich, ob wohl ein Protest gegen Fay­mann in ein­er Moschee nicht doch „weniger vogel­frei“ betra­chtet würde als der in ein­er katholis­chen Kirche. Warum ein Protest gegen den Bun­deskan­zler in ein­er Moschee oder Kirche stat­tfind­en soll? Das fragt Vet­ter nicht. Vet­ter entkommt aber eine bemerkenswerte Einschätzung:

„Hierzu­lande wer­den Oppo­si­tionelle, die sich mit der Reli­gion anle­gen, näm­lich eben­falls gerne strafrechtlich verurteilt – zulet­zt etwa dann, als sich jemand über die sex­uellen Prak­tiken des Propheten Mohammed äußerte“ (Die Presse, 27.8.2012).


amnesty.org/en/pussyriot
-

Das ver­an­lasste Roland Mik­lau, den früheren Sek­tion­sleit­er für Strafge­set­zge­bung im Jus­tizmin­is­teri­um, zu ein­er sehr deut­lichen Rep­lik auf Vetter:

„Der Autor zielt damit auf den het­zerischen „Mohammed – ein Kinderschänder“-Ausruf ein­er FPÖ-Abge­ord­neten vor der let­zten Nation­al­ratswahl. Diesen Ver­gle­ich kön­nte man beina­he als per­fide betra­cht­en. Er fol­gt näm­lich dem bagatel­lisieren­den Muster der von FP-Chef Heinz-Chris­t­ian Stra­che kür­zlich im Fernse­hen vorgenomme­nen Einord­nung des erwäh­n­ten het­zerischen Auftritts als „Mei­n­ungs­de­likt“.“ (Die Presse, 5.9.2012)

In der Folge wird Mik­lau noch deutlicher:

„Het­ze gegen eth­nis­che oder religiöse Grup­pen als bloße Mei­n­ung zu qual­i­fizieren, entspricht – eben­so wie im Fall der soge­nan­nten „Auschwit­zlüge“ – dem von recht­sex­tremen Kreisen gewohn­ten Umdeuten, Rel­a­tivieren und Ver­leug­nen. Beab­sichtigtes und gezieltes Het­zen soll mit dieser üblen Ver­drehung der Tat­sachen nachträglich verniedlicht und bei­seite geschoben wer­den. Unschuld­släm­mer vom poli­tisch recht­en Rand wer­den ja ach so häu­fig missver­standen und „ver­fol­gt“”.

Damit stellt Mik­lau klar, dass es bei den Äußerun­gen von Stra­che zu „Mei­n­ung­surteilen“ nicht nur darum ging, den Verbleib von Susanne Win­ter als Abge­ord­nete trotz recht­skräftiger Verurteilung zu recht­fer­ti­gen oder etwa ein­er möglichen Anklage sein­er Per­son (siehe Anzeige Zanger als PDF) vorzubeu­gen, son­dern auch ins­ge­samt das erst zwei Jahre alte Beken­nt­nis vom NS-Ver­bots­ge­setz zu relativieren.

Tipp! Neben dem genan­nten und ver­link­ten Beitrag in der „Presse“ von Roland Mik­lau sind zwei andere Kom­mentare lesenswert:

Klaus Hödl — „Stra­che, Vil­im­sky und die Haken­nase: Erschüt­ternd unge­bildet“.
Natascha Strobl — „Stra­che und sein Lieblingsbuch“