Politik gegen die Menschen I: FPÖ will Zehntausenden die Krankenversicherung streichen

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„Gera­de in Zei­ten der Wirt­schafts- und Finanz­kri­se ist es erstre­bens­wert, Anrei­ze für leis­tungs­be­rei­te Men­schen zu schaf­fen“, meint die FPÖ die in ihrem Antrag 732/ A(E) aus dem Som­mer 2009. Und fast schon logisch schluss­fol­gernd will sie – die selbst­er­nann­te „sozia­le Hei­mat­par­tei“ – zehn­tau­sen­den Men­schen mit Ein­kom­men unter € 7000,- im Jahr die Pen­si­ons- und die Kran­ken­ver­si­che­rung streichen.
 
Aber mal lang­sam und zum Mit­schrei­ben. Die FPÖ schlägt allen Erns­tes vor, die Gering­fü­gig­keits­gren­ze von damals € 357,74 auf € 500,- anzu­he­ben. Die Fol­ge: Alle Men­schen, die (im Jahr 2009) zwi­schen € 5000,- und € 7000,- im Jahr verdien(t)en, wür­den aus der Kran­ken­ver­si­che­rung, der Pen­si­ons­ver­si­che­rung und der Arbeits­lo­sen­ver­si­che­rung fal­len. Davon betrof­fen wären, so sich die angeb­li­che „sozia­le Hei­mat­par­tei“ durch­ge­setzt hät­te, ca. 140.000 Men­schen (vor allem Frau­en und Arbei­te­rIn­nen).
 
War­um das so ist? Ein­kom­men bis zur Gering­fü­gig­keits­gren­ze (2011: € 374,- im Monat, bis zu 14 Mal im Jahr) unter­lie­gen nicht der Sozi­al­ver­si­che­rungs­pflicht. Für die­se Ein­kom­men müs­sen also kei­ne Ver­si­che­rungs­bei­trä­ge geleis­tet wer­den. Es ent­ste­hen daher auch kei­ne Ansprü­che auf Arbeits­lo­sen­geld, auf eine Pen­si­on oder – im Krank­heits­fall wohl das größ­te Pro­blem – auf Leis­tun­gen aus der Kran­ken­ver­si­che­rung. Steigt die­se Gren­ze, fal­len Men­schen, die der­zeit ver­si­chert sind, aus der Pflicht­ver­si­che­rung her­aus und müs­sen sich selbst ver­si­chern oder auf einen Ver­si­che­rungs­schutz verzichten.
 
Aber was will die FPÖ mit der Ent­fer­nung von ca. 140.000 Men­schen aus der Sozi­al­ver­si­che­rung errei­chen? Aus den unend­li­chen Wei­ten des inhalts­lo­sen Gebrab­bels erreicht uns fol­gen­de Bot­schaft der Antrags­be­grün­dung: „Das Instru­ment der gering­fü­gi­gen Beschäf­ti­gung ermög­licht es vie­len leis­tungs­be­rei­ten Men­schen, neben ihrer Haupt­be­schäf­ti­gung zusätz­lich pro­duk­tiv tätig zu sein, ohne exor­bi­tan­te Abga­ben­be­las­tun­gen in Kauf neh­men zu müs­sen. … Auf­grund der Modell­aus­ge­stal­tung wird mit Über­schrei­ten der Gering­fü­gig­keits­gren­ze der gesam­te Zusatz­ver­dienst voll sozi­al­ver­si­che­rungs- und ein­kom­mens­steu­er­pflich­tig, wobei es im Fal­le einer gering­fü­gi­gen Zusatz­be­schäf­ti­gung zu einer Haupt­be­schäf­ti­gung und auch noch zu einer kumu­la­ti­ven Wir­kung der Sozi­al­ver­si­che­rungs­pflich­ten kommt.“
 
Nach Ansicht der FPÖ sol­len „Leis­tungs­be­rei­te“ für Zusatz­ein­kom­men von Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen befreit wer­den. Wer jedoch nur ein nied­ri­ges Ein­kom­men aus einer Haupt­be­schäf­ti­gung bezieht, wird damit vom Ver­si­che­rungs­schutz befreit.
 
Die Argu­men­ta­ti­on der FPÖ zur Erhö­hung der Gering­fü­gig­keits­gren­ze ist zu aller­erst ein­mal dumm: Die von ihr kri­ti­sier­te Wir­kung bei Über­schrei­tung der Gering­fü­gig­keits­gren­ze bleibt ja erhal­ten, wenn die Gren­ze ange­ho­ben wird. Genau­ge­nom­men ver­schärft sie sich sogar, weil dann mit einem Schlag die gesam­ten Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge von einem deut­lich höhe­ren Betrag anfallen.
 
Außer­dem gibt’s ein Pro­blem mit der Gerech­tig­keit: Wer etwa aus einem Job € 2000,- im Monat ver­dient, zahlt davon etwas mehr als € 360,- im Monat an Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen. Geht es nach der FPÖ, sol­len alle, die nun neben die­sem Ein­kom­men noch bis zu € 500,- im Monat in einem ande­ren Job dazu­ver­die­nen, auch nur € 360,- im Monat für die Sozi­al­ver­si­che­rung zah­len. Wer aber in einem ein­zi­gen Beschäf­ti­gungs­ver­hält­nis € 2500,- brut­to ver­dient, muss € 450,- an SV-Bei­trä­gen bezahlen.
 
Aber vor allem: Vom „Anreiz“ der FPÖ pro­fi­tie­ren in beson­de­rem Maße Unter­neh­men, die für Ein­kom­men bis € 500,- weni­ger an Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen zu ent­rich­ten hät­ten. Für Mit­ar­bei­te­rIn­nen mit einem Ein­kom­men von € 500,- brut­to im Monat haben Unter­neh­men der­zeit Arbeit­ge­be­rIn­nen­bei­trä­ge zur Sozi­al­ver­si­che­rung in der Höhe von € 109,- zu ent­rich­ten. Wür­de der FPÖ-Antrag auf Erhö­hung der Gering­fü­gig­keits­gren­ze Rea­li­tät, so wür­den nur mehr € 89,- im Monat, viel­fach sogar nur € 7,- im Monat zu ent­rich­ten sein. Da fliegt also nicht nur der oder die Beschäf­tig­te um die sozia­le Sicher­heit um, son­dern auch das Sozi­al­sys­tem um erheb­li­che Geld­mit­tel. Und die Umwand­lung von ohne­hin schon schlecht bezahl­ten Jobs in meh­re­re gering­fü­gi­ge Beschäf­ti­gun­gen, etwa im Gast­ge­wer­be und im Han­del, wür­de noch weit­aus attrak­ti­ver sein als heu­te. Im Han­del ent­sprä­chen € 500,- einer wöchent­li­chen Arbeits­zeit von fast 16 Stun­den. Das ist aber kei­ne gering­fü­gi­ge Tätig­keit mehr, son­dern fast ein Halbtagsjob.
 
Zusam­men­ge­fasst: Der Vor­schlag der FPÖ, die Gering­fü­gig­keits­gren­ze auf € 500,- zu erhö­hen, führt zu einer mas­si­ven Ver­schlech­te­rung für Beschäf­tig­te und höhlt das Sozi­al­sys­tem aus. Von einer der­ar­ti­gen Absur­di­tät pro­fi­tie­ren nur Unter­neh­men auf Kos­ten ihrer Beschäf­tig­ten. Die selbst­er­nann­te „sozia­le Par­tei“ betreibt also Poli­tik zum Nach­teil der arbei­ten­den Men­schen in Österreich.
 
Gut­wil­li­ge Men­schen mögen hin­ter die­sem Antrag der FPÖ Dumm­heit, Unkennt­nis des Sozi­al­sys­tems, man­geln­de Kennt­nis der Aus­wir­kun­gen oder schlicht­weg Inkom­pe­tenz ver­mu­ten. Sehr viel wahr­schein­li­cher ist jedoch, dass die FPÖ schlicht eine Poli­tik des Sozi­al­ab­baus betrei­ben will und betreibt.


Arti­kel­se­rie „Poli­tik gegen die Men­schen: Die Sozi­al- und Gesell­schafts­po­li­tik der FPÖ”.