8. Mai: Schieflage der Geschichte

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Heis­sa, waren das noch Zei­ten 2004! Da war die FPÖ noch Regie­rungs­par­tei und ihr jun­ger auf­stre­ben­der Wie­ner Lan­des­ob­mann Heinz-Chris­ti­an Stra­che hielt die Rede zur „Hel­den­eh­rung“ am 8. Mai. Mit dabei: John Gude­nus und Gott­fried Küs­sel. 2012 ist aus der „Hel­den­eh­rung“ eine „Toten­ge­denk­ver­an­stal­tung“ gewor­den, Stra­che fehl­te schon wie­der, Küs­sel auch (aus ande­ren Grün­den), nur John Gude­nus hielt durch. Und Mar­tin Graf, der frisch aus Süd­ti­rol zurück, in fader Zivil­klei­dung mitparadierte.


Gott­fried Küs­sel beim „Toten­ge­den­ken” 2004 (Bild­quel­le: kuesselskameraden.blogsport.eu)

2004 wet­ter­te Stra­che noch in sei­ner Rede: „Ich wer­de die­se Schief­la­ge der der­zei­ti­gen Geschichts­auf­fas­sung nicht hin­neh­men.“ 2012 jam­mert er auf Face­book, dass den frei­heit­li­chen Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen „wider bes­se­res Wis­sen — von SPÖ und Co ein inak­zep­ta­bles Nach­trau­ern des Krie­ges unter­stellt wird, was an Schwach­sinn und bös­ar­ti­ger Absur­di­tät nicht mehr zu über­bie­ten ist“. Kei­ne Rede mehr von der Schief­la­ge der Geschichts­auf­fas­sung! Was soll sich da heu­te ein John Gude­nus den­ken, der 2006 sei­nen Ver­such, die „Schief­la­ge der der­zei­ti­gen Geschichts­auf­fas­sung“ über die Gas­kam­mern der Nazis zu kor­ri­gie­ren, mit einer ein­jäh­ri­gen beding­ten Haft­stra­fe büßen musste?

2012 gibt Stra­che auf Face­book lang­at­mig sei­ne Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der „Hel­den­eh­rung“, die jetzt von ihm „Toten­ge­denk­ver­an­stal­tung“ genannt wird, zum Besten:

Jedes Jahr, am 8. Mai, jährt sich zum Glück das Ende des schreck­li­chen und tod­brin­gen­den 2. Welt­krie­ges und das Ende des grau­sa­men und men­schen­ver­ach­ten­den tota­li­tä­ren NS-Regimes. An die­sem Tag geden­ken seit Jahr­zehn­ten die stu­den­ti­schen Ver­bin­dun­gen ALLEN Opfern (den Mil­lio­nen jüdi­schen Opfern der grau­sa­men NS-Tötungs­ma­schi­ne­rie in den KZ, den Mil­lio­nen zivi­len Opfern durch Krieg und Bom­ben­ter­ror, den gefal­le­nen Sol­da­ten aller Sei­ten, und den in Fol­ge Mil­lio­nen aus dem Osten Ver­trie­be­nen, geschun­de­nen und umge­brach­ten Men­schen nach dem Kriegs­en­de) die­ser Zeit — wel­che wir zum Glück über­wun­den haben.

Die­se „der­zei­ti­ge Geschichts­auf­fas­sung“ kommt in eine „Schief­la­ge“ zu den Inter­pre­ta­tio­nen, die am 8. Mai in ver­gan­ge­nen Jah­ren bei den „Hel­den­eh­run­gen“ vor­ge­nom­men wur­den. Auf Face­book wird der Ser­mon von Stra­che kaum kom­men­tiert – die erge­be­nen Jün­ger kön­nen nicht wirk­lich etwas damit anfan­gen. Nur einer erin­nert an die „Schief­la­ge“: „Und seit dem 8. Mai 1945 darf man nur mehr das dar­über äußern was uns von den Sie­ger­mäch­ten dog­ma­tisch vor­ge­schrie­ben wird!“ Eini­ge Stun­den hält er durch, dann wird sei­ne Geschichts­auf­fas­sung gelöscht.


Mar­tin Graf beim „Toten­ge­den­ken” 2012 (Fak­si­mi­le der Web­site unzensuriert.at)

2004 war das, wie erwähnt, auch noch anders bei der „Hel­den­eh­rung“. Der Spre­cher des Wie­ner Kor­po­ra­ti­ons­rin­ges, der damals Stra­che begrü­ßen und in spä­te­ren Jah­ren noch glanz­vol­le­re Auf­trit­te absol­vie­ren durf­te, nagel­te in sei­nen ein­lei­ten­den Wor­ten die Geschichts­auf­fas­sung ziem­lich gera­de und direkt fest: „Wir den­ken an die Cha­rak­ter­stär­ke und Uner­schüt­ter­lich­keit der Frau­en und Män­ner im Bom­ben­ha­gel des Alli­ier­ten Luft­ter­rors…. Die mili­tä­ri­sche Kapi­tu­la­ti­on der Deut­schen Armee am 8. Mai 1945 brach­te den Alli­ier­ten den Frie­den, aber Mil­lio­nen von Deut­schen brach­te sie die Hölle.”

Ja, vor allem die Uner­schüt­ter­lich­keit und die Cha­rak­ter­stär­ke! Sie war das Pri­vi­leg der Nazi-Spit­zen, die bis zur bedin­gungs­lo­sen Kapi­tu­la­ti­on, bis zum Ende des schon längst ver­lo­re­nen Kriegs mor­den lie­ßen, bevor sie selbst vom deut­schen Volk deser­tier­ten. Um die schie­fe Geschichts­auf­fas­sung ein wenig zurecht­zu­rü­cken, hier ein Zitat von Ian Kers­haw, Das Ende. Kampf bis in den Unter­gang. NS-Deutsch­land 1944/45:

Auch die Deut­schen waren in der letz­ten Kriegs­pha­se unbe­streit­bar Opfer von Ereig­nis­sen, über die sie kei­ner­lei Macht hat­ten. Natür­lich war, wer sein Heim im Bom­ben­ha­gel ver­lor, ein Opfer – Opfer eines scho­nungs­lo­sen Bom­ben­kriegs, Opfer aber auch der expan­sio­nis­ti­schen Poli­tik sei­ner Regie­rung, die den Hor­ror aus­ge­löst hat­te. Die Frau­en, Kin­der und alten Leu­te, die in Ost­deutsch­land aus ihren Häu­sern und von ihren Höfen flie­hen und sich den Mil­lio­nen anschlie­ßen muss­ten, die durch Eis und Schnee nach Wes­ten zogen, waren eben­falls Opfer – in die­sem Fall des Molochs der Roten Armee und der allein an sich selbst den­ken­den NS-Füh­rer in ihren Gebie­ten, Opfer aber auch des Angriffs­kriegs, den ihre Regie­rung gegen die Sowjet­uni­on geführt und der so furcht­ba­re Ver­gel­tungs­ak­tio­nen her­aus­ge­for­dert hat­te. Sogar die Sol­da­ten, die in die­sen schreck­li­chen letz­ten Mona­ten zu Tau­sen­den an den Fron­ten umka­men, waren in einem gewis­sen Sinn Opfer – einer Mili­tär­füh­rung näm­lich, die dra­ko­ni­sche Mit­tel ein­setz­te, um sich Gehor­sam zu ver­schaf­fen, aber auch eines ein­ge­schlif­fe­nen Pflicht­ge­fühls, das ihnen die Über­zeu­gung gab, für eine gute Sache zu kämp­fen; Opfer schließ­lich einer poli­ti­schen Füh­rung, die auf­grund ihrer ego­is­ti­schen Zie­le das Land eher unter­ge­hen ließ als auf­zu­ge­ben. (S. 519f.)

Wer die­se Rah­men­be­din­gun­gen von NS-Gewalt­herr­schaft und NS-Ver­nich­tungs­po­li­tik aus­blen­det und umstands- und bedin­gungs­los davon spricht, dass alle Opfer waren oder gar von der Höl­le für die Deut­schen nach 1945, der hat nichts begrif­fen. Das gilt für die Hel­den­eh­rung 2004, aber auch für Stra­ches Bemer­kun­gen zum Toten­ge­den­ken 2012!