Verfassungsschutzbericht 2016: Sobotkas Schönfärberei (I)

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Der Ver­fas­sungs­schutz­be­richt des Innen­mi­nis­te­ri­ums für das Jahr 2016 wur­de am 14.6. vor­ge­stellt und auch online ver­öf­fent­licht. Auf rund vier von ins­ge­samt 90 Sei­ten (inkl. eini­ger Leer­sei­ten) kuschelt sich das Kapi­tel Rechts­extre­mis­mus zusam­men. Dazu kom­men noch die Fach­bei­trä­ge über „Neu­rech­te Phä­no­me­ne“ und über „Staats­feind­li­che Ver­bin­dun­gen: Staats­ver­wei­ge­rer“. Aber die sind für den Ver­fas­sungs­schutz anschei­nend ein Phä­no­men sui gene­ris.

In sei­nem Vor­wort ver­sucht sich schon Innen­mi­nis­ter Sobot­ka an dem „rela­tiv neu­en“ Phä­no­men der „soge­nann­ten ‚Staats­feind­li­chen Ver­bin­dun­gen’ ” abzu­ar­bei­ten. War­um sind sie für Sobot­ka soge­nannt? Egal. Er hat auch sonst – so wie der Fach­bei­trag „Staats­feind­li­che Ver­bin­dun­gen: Staats­ver­wei­ge­rer“ (p. 52–55) – kei­ne Erklä­rung für „das in den letz­ten Jah­ren ver­stärkt auf­tre­ten­de Phä­no­men der in staats­feind­li­chen Ver­bin­dun­gen orga­ni­sier­ten Staats­ver­wei­ge­rer“ (p. 53). Sie sind ein­fach da, aus dem Nichts gekom­men und – jeden­falls nach der Zäh­lung des Ver­fas­sungs­schut­zes — zu der beacht­li­chen Grö­ße von 1.100 Anhän­gern und wei­te­ren 15.000 „poten­zi­el­len Akti­vis­ten“ und wei­te­ren „rund 7.000 Per­so­nen, die in ande­ren ein­schlä­gi­gen sys­tem- und rechts­kri­ti­schen Foren aktiv sind“ (p. 55), angeschwollen.

Da hät­ten wir natür­lich ger­ne Nähe­res gewusst: etwa, wor­an der Ver­fas­sungs­schutz den Unter­schied zwi­schen Anhän­gern und poten­zi­el­len Akti­vis­ten fest­macht? Wel­ches „rechts­kri­ti­sche“ Forum er zu den „Staats­ver­wei­ge­rern“ zählt? Und natür­lich hät­ten wir ger­ne etwas mehr über die diver­sen Grup­pen und ihre ideo­lo­gi­sche Ver­or­tung erfah­ren. Da wird der Bericht aber ziem­lich schmal­lip­pig und spricht nur bei den „Reichs­bür­gern“ und „Staa­ten­bünd­lern“, die er bei­de als Kate­go­rie bzw. Strö­mung zusam­men­fasst, von Zugän­gen in die rechts­extre­me Szene.

Das ist etwas dürf­tig und wird auch der ande­ren Strö­mung („Free­men“, „OPPT“, „Ter­ra­ni­er” usw.) nicht gerecht, denn in bei­den „Strö­mun­gen“ (der Begriff eig­net sich in die­sem Fall wirk­lich, die Über­gän­ge sind sehr „flie­ßend“) gibt es deut­lich anti­se­mi­ti­sche und revi­sio­nis­ti­sche Ideo­lo­gie­frag­men­te, ver­mengt mit Ver­schwö­rungs­ge­mur­mel und Eso­te­rik. Im „FM Stamm­tisch Linz“, einer geschlos­se­nen Face­book-Grup­pe mit zuletzt 500 Mit­glie­dern (mitt­ler­wei­le off­line), waren nicht die Fans des Radio­sen­ders FM4 ver­tre­ten, son­dern die „Free­men“ (FM) ver­eint mit Anhän­gern von OPPT, ICCJV, Hard­core-Neo­na­zis und einer ver­hin­der­ten Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­tin aus die­sem Eck.

Im FM Stammtisch Linz, einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit mehr als 500 Mitgliedern, tauschten sich Staatsverweigerer, Anhänger von OPPT, ICCJV usw. mit Hardcore-Neonazis aus.

Im FM Stamm­tisch Linz, einer geschlos­se­nen Face­book-Grup­pe mit mehr als 500 Mit­glie­dern, tausch­ten sich Staats­ver­wei­ge­rer, Anhän­ger von OPPT, ICCJV usw. mit Hard­core-Neo­na­zis aus.

Sobot­ka, der kei­ne Ahnung von dem „rela­tiv neu­en“ Phä­no­men hat, die dafür aber sehr bestimmt, säu­selt in sei­nem Vor­wort davon, dass auch „zum Schutz die­ser ver­irr­ten Men­schen, die sich über kurz oder lang selbst um alles brin­gen“, gehan­delt wer­den müs­se. Der Innen­mi­nis­ter als Ret­ter von ver­irr­ten See­len – ganz lieb! Damit ist anschei­nend auch klar, dass ver­irr­te Men­schen, selbst wenn sie nach ganz rechts abge­bo­gen sind, nie­mals rechts­extrem sein kön­nen, weil sie sich ja ver­irrt haben. 

Den zwei­ten Fach­bei­trag („Neu­rech­te Phä­no­me­ne…“), der sich im Wesent­li­chen mit den Iden­ti­tä­ren beschäf­tigt („Neu­er Wein in alten Schläu­chen“), könn­te man sogar als infor­ma­ti­ve Zusam­men­fas­sung und Dekon­struk­ti­on eini­ger ihrer ideo­lo­gi­schen Kon­struk­te gel­ten las­sen, wenn er sich nicht in einem nicht unwich­ti­gen Punkt voll­kom­men über die Rea­li­tä­ten hin­weg­schwur­beln wür­de. So heißt es im Kapi­tel über die „Aus­brei­tung der Iden­ti­tä­ren in Euro­pa“:

„In eini­gen Län­dern, in denen die Iden­ti­tä­ren aktu­ell aktiv sind, ist zudem evi­dent, dass sie aus rechts­extre­mis­ti­schen Milieus, Per­so­nen­ver­bin­dun­gen, Par­tei­en, frei­en Kame­rad­schaf­ten, Neo­na­zi­sze­nen und lose ver­netz­ten Inter­net­ak­ti­vis­ten ent­sprun­gen sind oder dar­in ihre Vor­läu­fer haben“ (p. 46).

Ist nicht grund­sätz­lich falsch, blen­det aber den öster­rei­chi­schen Ent­ste­hungs­kon­text eben­so aus wie ihre hier­zu­lan­de immer inten­si­ver wer­den­den Ver­bin­dun­gen in die FPÖ hin­ein: in Öster­reich haben sich die Iden­ti­tä­ren zunächst fast kom­plett aus den bur­schen­schaft­li­chen Milieus und Kadern rekru­tiert. Was zum alten Pro­blem des Ver­fas­sungs­schutz­be­rich­tes im Kapi­tel Rechts­extre­mis­mus führt: FPÖ und Bur­schen­schaf­ten dür­fen da ein­fach nicht vor­kom­men. Solan­ge das so bleibt, ist der Bericht Sobotka-Schönfärberei.

Fort­set­zung folgt!