Wien: Neonazi-Prozess: Mit Bewährungsstrafen davon gekommen (Teil 3)

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Zum drit­ten und damit auch letz­ten Mal muss­ten sich Isa­bel­la Kordas sowie der deut­sche Neo­na­zi Rolf Kai Mül­ler und des­sen Frau Doro­thee Ende Jän­ner wegen meh­re­ren Ver­stö­ßen gegen das Ver­bots­ge­setz bei einem Geschwo­re­nen­pro­zess am Wie­ner Lan­des­ge­richt ver­ant­wor­ten. Nach einem frag­wür­di­gen Abschluss­plä­doy­er des Staats­an­walts kamen sie mit (rela­tiv hohen) Bewäh­rungs­stra­fen davon.

Was bis­her geschah
Bereits Ende August hat­te jener Pro­zess begon­nen, der nun sein Ende fand. Wie Stoppt die Rech­ten bereits berich­te­te, waren den drei Ange­klag­ten unter­schied­li­che Ver­stö­ße gegen das Ver­bots­ge­setz (Besitz von NS-Devo­tio­na­li­en, ein­schlä­gi­ge Tat­toos, Pro­pa­gie­rung von NS-Sym­bo­len, Betei­li­gung an „Natio­na­len Lie­der­aben­den“ etc.) vor­ge­wor­fen wor­den. Nach­dem beim ers­ten Ter­min vor allem die Ange­klag­ten selbst ver­nom­men wor­den waren, stan­den beim zwei­ten die Aus­sa­gen jener Gäs­te im Mit­tel­punkt, die sich an dem Abend im Stüber­heim befun­den hat­ten, der durch die WEGA gestürmt wor­den war. Weil meh­re­re Zeug_innen an den bis­he­ri­gen Pro­zess­ter­mi­nen nicht erschie­nen waren, soll­ten die­se am 26. Jän­ner 2017 bei einem wei­te­ren Ver­hand­lungs­tag ihre Aus­sa­gen machen. So hat­te sich bei­spiels­wei­se die „Haupt­be­las­tungs­zeu­gin“ – wohl auf­grund des Bedro­hungs­po­ten­ti­als durch ande­re, in der Sze­ne ein­schlä­gig bekann­te Zeug_innen – erst beim drit­ten Ter­min bli­cken las­sen. Sie hat­te Doro Mül­ler über Face­book ken­nen­ge­lernt und dann in der glei­chen Fir­ma wie sie für knapp zwei Jah­re zu arbei­ten begon­nen. In die­ser Zeit wäre sie von der Ange­klag­ten zu einem Blood & Honour Kon­zert in Ungarn ein­ge­la­den wor­den sowie zu meh­re­ren Aben­den in jene Kel­ler­lo­ka­le, die auch Gegen­stand der Ver­hand­lung waren. Im Rah­men eines Grill­abends bei den Mül­lers hät­te sie zudem bei­spiels­wei­se NS-Devo­tio­na­li­en in deren Kel­ler gese­hen und auch ras­sis­ti­sche Äuße­run­gen ver­nom­men. Obwohl die Zeu­gin auch bei einem der „Lie­der­aben­de“, laut eige­nen Anga­ben „under Cover“, vor Ort gewe­sen war, konn­te sie nur bedingt Auf­klä­rung in die Ange­le­gen­heit brin­gen. Erin­ne­rungs­lü­cken, wider­sprüch­li­che Aus­sa­gen sowie eine eige­ne Ankla­ge und Ver­ur­tei­lung wegen Wie­der­be­tä­ti­gung schmä­ler­ten ihre Glaubwürdigkeit.

Erneut: Von Nichts gewusst
Auch die wei­te­ren noch aus­stän­di­gen Zeug_innen — dar­un­ter etwa ein Ehe­paar, das ihren eige­nen Anga­ben zufol­ge, nach ihrer Hoch­zeit auf Ein­la­dung von Andre­as „Zwetsch­ke“ Zep­ke im Kel­ler „vor­bei geschaut“ hat­te — sag­ten im Grun­de genom­men das bei­na­he zu Wort­glei­che aus, wie die zahl­rei­chen Entlastungszeug_innen davor: Nie­man­dem war etwas Selt­sa­mes auf­ge­fal­len, nie­mand hät­te Kordas und Mül­ler sin­gen gehört, man­che hät­ten gewusst, dass in dem Kel­ler­lo­kal vor­ran­gig Ange­hö­ri­ge der rech­ten Sze­ne ver­keh­ren, ande­ren wie­der­um sei das nicht auf­ge­fal­len. Obwohl sich kaum eine_r wirk­lich für Fuß­ball inter­es­sie­re, sei­en die meis­ten zum Fuß­ball schau­en oder Bier trin­ken in den Kel­ler gekom­men, keine_r jedoch für einen Lie­der­abend. Dies ver­wun­der­te ein wei­te­res Mal, da Kordas und Rolf Kai Mül­ler davor bereits zuge­ge­ben hat­ten, dass sie an dem besag­ten Abend „Fuß­ball­stim­mungs­lie­der“ hät­ten spie­len wol­len. Dies bestä­tig­te auch der sich in Haft befin­den­de Lebens­ge­fähr­te von Kordas, der beim zwei­ten Ver­hand­lungs­tag aus­sag­te, dass „der Mül­ler hät­te Musik machen sol­len“ und „die Isi hat die Gitar­re auch kurz in die Hand genommen“.

Ein „High­light“ des drit­ten Pro­zess­ta­ges stell­te außer­dem die Video­kon­fe­renz mit Kordas Exfreund, Phil­ip Tschen­scher, dar, der aus einem deut­schen Gericht zuge­schal­ten wur­de. Er bestä­tig­te letzt­lich genau das, was Kordas selbst bereits aus­ge­sagt hat­te: Die Lie­der­map­pe mit den men­schen­ver­ach­te­ten­den Tex­ten wäre sei­ne gewe­sen. Er hät­te sie in dem Kel­ler­lo­kal ver­ges­sen und in der Zeit ihrer Bezie­hung (von 2006 bis 2009) habe sich Kordas nie als Sän­ge­rin her­vor getan. Sie habe hin und wie­der pri­vat eine Gitar­re in die Hand genom­men aber nie öffentlich.

<em>Philip Tschentscher - Bildquelle: <a href="https://forschungsgruppefipu.wordpress.com/2013/11/11/philip-tschentscher/">FIPU</a></em>

Phil­ip Tsch­ent­scher — Bild­quel­le: FIPU

Ent­las­tun­gen?
Kordas bau­te in der Ver­hand­lun­gen erneut auf eine für Frau­en in rechts­extre­men Spek­tren typi­sche Ver­tei­di­gungs­stra­te­gie: Den gesam­ten Pro­zess ver­such­te sie sich als Mit­läu­fe­rin dar­zu­stel­len, die sich durch die Lie­be zu Tschen­scher, einem rechts­extre­men Mann, ver­blen­den und durch Nai­vi­tät zu man­cher Dumm­heit hin­reis­sen ließ, aber nach der Been­di­gung der Bezie­hung nichts mehr mit der Sze­ne zu hät­te. Die­sen min­des­tens eben­so nai­ven Zugang, Frau­en als Mit­läu­fe­rin­nen dar­zu­stel­len, ver­folg­te im Übri­gen auch der frag­wür­di­ge Staats­an­walt, der in sei­nem Abschluss­plä­doy­er u.a. davon sprach, dass der erst­an­ge­klag­te Mann tief drin­nen in der Sze­ne sit­ze, es sich bei den ande­ren um Frau­en hand­le und das bei der Straf­be­mes­sung zu berück­sich­ti­gen sei. Nach wie vor bestehen­der Kon­takt von Kordas zu Ange­hö­ri­gen der Sze­ne, die Anwe­sen­heit an den besag­ten Aben­den in den Kel­ler­lo­ka­len, ein­schlä­gi­ge Tat­toos sowie auch ihr aktu­el­ler Lebens­ge­fähr­te spre­chen jedoch bis­lang ande­res. Nun ver­kün­de­ten sowohl Kordas Anwäl­tin als auch die Ange­klag­te selbst, dass sie begon­nen hät­te, sich die Tat­toos (eine schwar­ze Son­ne und ein SS-Toten­kopf) zu „covern“. Ob sie wirk­lich, wie eben­falls ver­laut­bart, „ein ande­res Leben“ führt, bleibt ange­sichts der oben genann­ten Indi­zi­en frag­lich. Auch der Rich­ter merk­te an, dass das „Covern“ des Tat­toos zwar löb­lich sei, aber nichts am Umstand ände­re, dass sie die­se in der Ver­gan­gen­heit gut sicht­bar getra­gen und Fotos von sich mit den Tat­toos ver­brei­tet habe.

Abschluss­plä­doy­ers und Strafen
Gegen Ende der Ver­hand­lung sorg­ten weni­ger die Abschluss­plä­doy­ers der Verteidiger_innen für Ver­wun­de­rung als eine Rede des Staats­an­walts, in der er auf höchs­te bedenk­li­che Wei­se gegen das Ver­bots­ge­setz und für ver­meint­li­che Mei­nungs­frei­heit wet­ter­te. In sei­nem Pro­zess­ab­schluss frag­te er näm­lich, ob es wirk­lich not­wen­dig sei, „wegen der­ar­ti­gen Delik­ten, die jetzt nicht unbe­dingt Kapi­tal­ver­bre­chen sind, so ein Thea­ter zu machen“ — schließ­lich wür­den wir in einem Staat leben, in dem Mei­nungs­frei­heit herr­sche. Ent­spre­chend klang es eher nach Bedau­ern, dass „solan­ge der Staat das Gesetz nicht ändert, […] es eben zu ahn­den“ sei. Küs­sel-Anwalt, Micha­el Dohr, wie­der­um ver­such­te in sei­nem Abschluss­plä­doy­er zur Ver­tei­di­gung des Ehe­paar Mül­ler das Gesetz so zu inter­pre­tie­ren, dass es dar­um gin­ge, die Wie­der­errich­tung der NSDAP zu ver­hin­dern oder die Aktua­li­sie­rung des Gedan­ken­gut. Ob die Ange­klag­ten tat­säch­lich die­ses Ziel ver­folgt hät­ten, gab er den Geschwo­re­nen zur Beant­wor­tung der von den Richter_innen gestell­ten Fra­gen mit. Abschlie­ßend frag­te auch Kordas Anwäl­tin, ob es sich beim Ver­bots­ge­setz um „Gesin­nungs­straf­recht oder Hand­lungs­straf­recht“ han­deln würde.

Die Ange­klag­ten selbst hat­ten einer­seits immer wie­der ver­sucht, sich als „ein­fa­che Rech­te“ zu insze­nie­ren oder behaup­tet, dass sie mit der rech­ten Sze­ne nichts (mehr) zu tun hät­ten. Gera­de die Höhe der Bewäh­rungs­stra­fen lässt jedoch dar­auf schlie­ßen, dass die Geschwo­re­nen sich von die­ser Selbst­dar­stel­lung wohl doch nicht so ganz über­zeu­gen lie­ßen. Immer­hin wur­den alle drei zu einer auf drei Jah­re beding­ten Frei­heits­stra­fe nach § 3g des Ver­bots­ge­set­zes ver­ur­teilt: Kai Rolf Mül­ler bekam 18 Mona­te, Isa­bel­la Kordas 16 Mona­te und Doro­thee Mül­ler 15 Mona­te. Mil­dernd war hin­zu gekom­men, dass alle drei Ange­klag­ten bis­lang unbe­schol­ten waren, erschwe­rend jedoch, dass sie sich nicht gestän­dig gezeigt hatten.

Lei­der bestä­tig­te sich auch bei die­sem Pro­zess die von Stoppt die Rech­ten seit eini­ger Zeit beklag­te Ent­wick­lung, dass Neo­na­zi-Pro­zes­se in öster­rei­chi­schen Tages­zei­tun­gen offen­sicht­lich keine_n mehr inter­es­sie­ren dürf­ten. Aber­mals glänz­ten die­se weni­ger durch auf­merk­sa­me oder kri­ti­sche Berichts­er­stat­tung als durch Abwesenheit.

➡️ Teil 1: Rocker Rolf raunt
➡️ Teil 2: Ein ganz nor­ma­ler Abend im Stüber-Heim