Die (Ver)Sager des Verfassungsschutzes

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Im Auf­trag des ober­ös­ter­rei­chi­schen Lan­des­haupt­manns Josef Püh­rin­ger (ÖVP) hat der Ver­fas­sungs­schutz eine „Gefähr­dungs­ein­schät­zung“ erstellt, in der den Ver­an­stal­tern und Teil­neh­me­rIn­nen des rechts­extre­men Lin­zer Kon­gres­ses Unbe­denk­lich­keit beschei­nigt wird. Gefahr gin­ge hin­ge­gen von den Gegen­de­mons­tran­tIn­nen aus. Höchs­te Zeit, um sich näher anzu­se­hen, wem der Ver­fas­sungs­schutz da immer wie­der die Mau­er macht.

Woher der Wind weht bei dem Gut­ach­ten, das das Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz am 28. Sep­tem­ber 2016 nach Ober­ös­ter­reich gemel­det hat, wird am deut­lichs­ten durch die fol­gen­de Passage:
Auch die übli­che Recher­che­ar­beit des lin­ken Lagers zu Akti­vi­tä­ten des ideo­lo­gi­schen Fein­des birgt Bri­sanz, zumal sich die­se über den kon­kre­ten Kon­gress­tag und Kon­gress­ort hin­aus erstre­cken und eine Gefahr für die dezen­tral unter­ge­brach­ten Ver­an­stal­tungs­gäs­te dar­stel­len könn­te“. Die­se Sät­ze, die auch aus der Feder von Refe­ren­tIn­nen des Kon­gres­ses stam­men könn­ten, muss man sich auf der Zun­ge zer­ge­hen las­sen. Nicht die Ver­samm­lung der Rechts­extre­mis­ten, son­dern die Recher­che über sie ist bri­sant, weil der Ver­fas­sungs­schutz eine blü­hen­de Phan­ta­sie hat und um die Nacht­ru­he der „dezen­tral unter­ge­brach­ten“ Rechts­extre­mis­ten besorgt ist!

Ver­sa­gen in der jün­ge­ren Vergangenheit

  • Als in den ers­ten Jah­ren des neu­en Jahr­tau­sends immer häu­fi­ger Neo­na­zi-Kon­zer­te von Deutsch­land nach Öster­reich aus­wi­chen, weil sie dort ver­bo­ten wur­den oder auf hef­ti­gen Wider­stand gesto­ßen waren, beschul­dig­te der ober­ös­ter­rei­chi­sche Ver­fas­sungs­schutz sei­ne deut­schen Kol­le­gen, dafür ver­ant­wort­lich zu sein: „Die deut­schen Behör­den haben es lei­der erfolg­reich geschafft, ihre rech­te Sze­ne zu ver­trei­ben und qua­si nach Öster­reich abzu­schie­ben“ (Stan­dard, 14.10.2003).
  • Im Dezem­ber 2006 fand in Antie­sen­ho­fen (OÖ) wie­der so ein Kon­zert mit Neo­na­zi-Bands und Hun­der­ten Neo­na­zis statt, die aus Deutsch­land „ver­trie­ben“ wor­den waren. Als im Jän­ner 2007 in der ORF-Sen­dung „The­ma“ eini­ge Video­se­quen­zen mit „Sieg Heil“ grö­len­den Neo­na­zis gezeigt wur­den, erschrak zwar die Öffent­lich­keit, nicht aber der – ober­ös­ter­rei­chi­sche — Ver­fas­sungs­schutz. Der erklär­te in der Sen­dung „The­ma“ vom 22.1.2007:„Wir haben das Gan­ze wie gesagt vor Ort geprüft, auch recht­lich, und auch auf­grund der Erkennt­nis­se, die wir von den deut­schen Behör­den, von den deut­schen Kol­le­gen bekom­men haben. Wir haben die ent­spre­chen­den Über­prü­fun­gen durch­ge­führt vor Ort und dann kei­ne Grün­de gefun­den, die Ver­an­stal­tung aufzulösen“.
  • Als 2010 in Henn­dorf (Salz­burg) öster­rei­chi­sche Neo­na­zis ein Kon­zert mit „Kate­go­rie C“ orga­ni­sie­ren woll­ten und Anti­fa­schis­tIn­nen dar­auf auf­merk­sam mach­ten, dass es sich bei der Band um eine Kult­band für Nazi-Hoo­li­gans han­delt, wink­te der Salz­bur­ger Ver­fas­sungs­schutz ab: „In Deutsch­land war sie frü­her als rechts-ten­den­zi­ös ein­ge­stuft. Das ist der­zeit laut unse­ren deut­schen Kol­le­gen aller­dings nicht mehr der Fall. Wir wer­den uns im Vor­feld noch genau anschau­en, was die­se Leu­te aktu­ell spie­len“(ORF Salz­burg) . Die Gemein­de lös­te den Miet­ver­trag mit den Ver­an­stal­tern auf und so blieb dem Ver­fas­sungs­schutz erspart, dass schon damals lin­ke Recher­cheu­re genau­so wie deut­scher Ver­fas­sungs­schutz „Kate­go­rie C“ als gewalt­be­rei­te Rechts­extre­mis­ten ein­ge­stuft haben. Fast alle öffent­li­chen Auf­trit­te von „Kate­go­rie C“ in Deutsch­land wur­den den letz­ten Jah­ren auf­ge­löst, abge­sagt oder verboten.
  • Im April 2009 wur­de der frü­he­re Ku-Klux-Klan-Mann und inter­na­tio­na­le Rechts­extre­mist David Duke in Prag wegen Holo­caust­leug­nung ver­haf­tet und aus Tsche­chi­en abge­scho­ben. Wohin? Nach Öster­reich (Zell am See/Salzburg) natür­lich, von wo er vor­her schon über meh­re­re Jah­re hin­weg sei­ne rechts­extre­men Akti­vi­tä­ten orga­ni­sier­te. Für den ORF-Report (12.5.2009) for­mu­lier­te der Chef des Ver­fas­sungs­schut­zes, Peter Grid­ling, die unglaub­li­chen Sät­ze: „Die öster­rei­chi­schen Behör­den beob­ach­ten David Duke nicht, denn wir haben kei­nen Grund zur Annah­me, dass David Duke hier eine Straf­tat bege­hen wird, oder dass ein Ver­dacht einer Straf­tat vor­han­den ist. Für uns ist Herr Duke ein ame­ri­ka­ni­scher Staats­bür­ger, der sich in Öster­reich zur­zeit auf­hält“. Der deut­sche Ver­fas­sungs­schutz beob­ach­te­te schon und nahm David Duke im Novem­ber 2011 in Köln fest – vor einem geplan­ten Auf­tritt bei Neo­na­zis – und schob ihn ab. Wohin? Eh schon klar! Mitt­ler­wei­le hat Duke zumin­dest Zell am See verlassen.
  • Seit 1966 fin­den jähr­lich die Poli­ti­schen Aka­de­mien der Akti­ons­ge­mein­schaft für Poli­tik (AfP) statt. Über die AfP und ihre Tref­fen lie­fen die wich­tigs­ten For­mie­rungs­pro­zes­se der Neo­na­zis: von der Wehr­sport­grup­pe Trenck über den Bund Frei­er Jugend und das Hei­mat­schutz-Forum bis hin zu Küs­sels Alpen-Donau-Nazis. Trotz­dem erklär­te der Ver­fas­sungs­schutz jah­re­lang: wir wis­sen Bescheid, beob­ach­ten und schrei­ten ein, wenn die gegen das Ver­bots­ge­setz ver­sto­ßen. 2010 kün­dig­te die AfP ihre Aka­de­mie nicht öffent­lich an – Anti­fa­schis­ten waren trotz­dem dort, nicht aber der Ver­fas­sungs­schutz. Dar­auf­hin ange­spro­chen, erklär­te der schon erwähn­te Peter Grid­ling, „die AFP sei eine Par­tei, und es sei nicht üblich, Par­tei­ver­an­stal­tun­gen zu beob­ach­ten“ (Stan­dard, 10.11.2010).
  • Anfang Okto­ber 2010 mar­schier­ten in Ober­wart im Bur­gen­land mit Kara­bi­nern bewaff­ne­te unga­ri­sche Rechts­extre­mis­ten in Uni­form auf. Die­se Ver­an­stal­tung war sogar ange­mel­det und wur­de – angeb­lich – vom Ver­fas­sungs­schutz über­wacht. Da die unga­ri­schen Rechts­extre­mis­ten aber – wie zu erwar­ten war- Unga­risch spra­chen, konn­ten sie nicht fest­stel­len, ob das Straf­recht ver­letzt wur­de.
  • Als Anfang März 2016 in Vor­arl­berg die unga­ri­sche Neo­na­zi-Band „Indu­lat“ in Vor­arl­berg statt in Thü­rin­gen für die Neo­na­zi-Sze­ne aus dem Drei­län­der­eck auf­spielt, ist der völ­lig über­rasch­te Ver­fas­sungs­schutz noch Tage danach ahnungs­los, wo das Kon­zert statt­ge­fun­den hat. Wo genau das Kon­zert statt­ge­fun­den hat, wis­sen wir zwar auch nicht, dafür, wo die Neo­na­zis ihre Schieß­übun­gen abge­hal­ten haben.
Neonazis Anfang 2016 in Feldkirch beim Schießtraining

Neo­na­zis Anfang 2016 in Feld­kirch beim Schießtraining

Es gäbe noch ande­re Bei­spie­le aus den letz­ten Jah­ren, mit denen man die Ver­sa­ger und das Ver­sa­gen des Ver­fas­sungs­schut­zes bele­gen könn­te . Wer sonst trägt etwa die Ver­ant­wor­tung dafür, dass selbst heu­te – fünf Jah­re nach Still­le­gung der Sei­te „Alpen-donau.info“ – noch immer nicht alle Ver­ant­wort­li­chen vor Gericht stehen?

Noch ein­mal zurück zur „Gefähr­dungs­ein­schät­zung“ für die Lin­zer Ver­an­stal­tung. Damit sich Ver­an­stal­ter und Teil­neh­me­rIn­nen des Forums genau­so wenig wie der Lan­des­haupt­mann und sein Koali­ti­ons­part­ner FPÖ ärgern müs­sen über die Ein­schät­zun­gen des Ver­fas­sungs­schut­zes, hat sich der eini­ges ein­fal­len las­sen an Argumenten:

„Die öffent­li­che Ankün­di­gung und media­le Bewer­bung der Ver­an­stal­tung „Kon­gress: Ver­tei­di­ger Euro­pas“ spre­chen trotz der zumin­dest teil­wei­se aus dem rechts­extre­mis­ti­schen Lager zu erwar­ten­den Teil­neh­mer nicht grund­sätz­lich dafür, dass es sich um eine per se straf­rechts- bzw. ver­bots­rechts­wid­ri­ge Ver­an­stal­tung han­delt, der mit behörd­li­chen Maß­nah­men bereits im Vor­hin­ein ent­ge­gen­zu­tre­ten wäre“.

Was für ein Satz! Was für eine Begrün­dung! Das ist halt schon ganz was ande­res mit den Rech­ten als mit den „gewalt­be­rei­ten Links­extre­mis­ten“ und auch dem „gemä­ßig­ten Pro­test­spek­trum“ von Gegen­de­mons­tran­tIn­nen, das — laut Ver­fas­sungs­schutz — für „Blo­cka­den, Stö­run­gen jeder Art, ver­ba­le und kör­per­li­che Kon­fron­ta­tio­nen, bis hin zum Ver­such der Ver­an­stal­tungs­ver­hin­de­rung“ steht. Schwups! Mit einem Neben­satz kri­mi­na­li­siert der Ver­fas­sungs­schutz das „gemä­ßig­te Pro­test­spek­trum“, wäh­rend etwa die Refe­ren­tIn­nen des rechts­extre­men Kon­gres­ses zu „Exper­tIn­nen zu diver­sen ein­schlä­gig rechts­ten­den­ziö­sen The­men“ geadelt werden.

Beson­ders wert­voll: das Prä­di­kat einer dem „demo­kra­tisch legi­ti­mier­ten Bereich zuzu­ord­nen­den Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on“, das der Ver­fas­sungs­schutz einem nicht näher genann­ten Aus­stel­ler beim rechts­extre­men Kon­gress ver­lie­hen hat. Wen meint der Ver­fas­sungs­schutz damit? Obwohl wir uns der „Bri­sanz“ unse­rer Recher­che bewusst sind: wenn der Ver­fas­sungs­schutz nicht die Bur­schen­schaft „Ger­ma­nia“ aus Mar­burg meint, dann bleibt eigent­lich nur der RFS (Ring Frei­heit­li­cher Stu­den­ten) übrig, also die poli­ti­sche Ver­tre­tung von deutsch­völ­ki­schen Kor­po­rier­ten und ihrer Sym­pa­thi­san­tIn­nen an den Hoch­schu­len. 2,46 % der Stim­men erhielt der RFS bei den ÖH-Wahlen!

[edit, 31.10.2016: Wir haben das Bild vom Schieß­trai­ning in Feld­kirch durch ein ande­res ersetzt]