Norwegen: Beißreflexe im Angesichts des Terrors

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Noch bevor bekannt war, was genau gesche­hen war, tra­ten in den ver­schie­dens­ten Medi­en soge­nann­te „Ter­ror­ex­per­tIn­nen” auf und wuss­ten wer hin­ter den Ter­ror­ak­ten steht. Für die einen war es die Hand­schrift der Al Qai­da, für die ande­ren ein Rache­akt des Ex-Staats­chef von Liby­en, Muammar al-Gad­da­fi. Sicher waren sich alle in einem: Es ist ein neu­er­li­cher Anschlag von Islamisten.

Die Tat­sa­che, dass der größ­te Teil der Anschlä­ge in Euro­pa 2010 nicht von Isla­mis­ten began­gen wur­de, son­dern von Natio­na­lis­tIn­nen, spiel­te offen­bar kei­ne Rol­le in der Ana­ly­se der „Ter­ror­ex­per­tIn­nen”. Von 249 Anschlä­gen in Euro­pa im Jahr 2010, hat­ten drei ein isla­mis­ti­sches Motiv.

Könn­te der Fehl­schluss der „Exper­tIn­nen” noch dar­auf zurück­ge­führt wer­den, dass die­se nur die gro­ßen Anschlä­ge im Kopf hat­ten, hät­te spä­tes­tens bei der Aus­wahl des einen Ziels in Nor­we­gen Zwei­fel an der Isla­mis­ten-Theo­rie auf­kom­men müs­sen. Das Anschlags­ziel war ein Feri­en­la­ger der Arbei­te­rIn­nen­par­tei Nor­we­gens, ein unty­pi­sches Ziel für den isla­mis­ti­schen Ter­ror. Dage­gen ist die sozia­lis­ti­sche und gesell­schafts­li­be­ra­le Idee, wie sie die Arbei­te­rIn­nen­par­tei Nor­we­gens ver­tritt, ein typi­sches Feind­bild für Rechts­extre­me.

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Eini­ge Tex­te befas­sen sich mit die­sem Phä­no­men der vor­ei­li­gen Schuld­zu­wei­sung, derstandard.at berich­tet über Use­rIn­nen-Mel­dun­gen aus ihrem Forum, die sofort „Emi­gran­ten” (!) die Schuld für die Anschlä­ge gaben. Auch anti­se­mi­ti­sche Ver­schwö­rungs­theo­rien befin­den sich unter den Pos­tings, so soll (wie­der ein­mal) der Mos­sad für alles ver­ant­wort­lich sein. Der Stan­dard berich­tet in sei­nem Arti­kel aus­führ­lich, wie „Exper­tIn­nen” vor­schnel­le Mei­nun­gen abga­ben und sich zu Aus­sa­gen wie „höchst­wahr­schein­lich eine isla­mis­ti­sche Grup­pe mit Ver­bin­dun­gen zur Al Qai­da” ver­lei­ten lie­ßen. Die ange­se­he­ne NY Times ließ einen „Ter­ror­ana­lys­ten” zu Wort kom­men, dem­nach eine Grup­pe „Hel­fer des Glo­ba­len Dschi­had” für die Anschlä­ge ver­ant­wort­lich sei. Erst nach Hin­wei­sen, dass es eine sol­che Grup­pie­rung viel­leicht gar nicht gibt und nach der Zurück­hal­tung von Prä­si­dent Barack Oba­ma in sei­ner Erklä­rung, änder­te die NY Times ihren Kurs und agier­te vor­sich­ti­ger. So man­che öster­rei­chi­sche Medi­en titel­ten eben­falls mit “Al-Kai­da unter Verdacht”.


The Sun wie gewohnt

Der Nach­rich­ten­sen­der ntv for­der­te, so berich­tet die FAZ, im Ange­sicht ihrer Unwis­sen­heit dazu auf, „ein biss­chen (zu) spe­ku­lie­ren”. Seriö­se­re Nach­rich­ten­sen­dun­gen wie das „heu­te jour­nal” von ARD/ZDF lie­ßen „Exper­ten” auf­tre­ten, die zu einem Zeit­punkt, als es längst mas­si­ve Zwei­fel an die­ser Inter­pre­ta­ti­on gab, beton­ten, ein isla­mis­ti­scher Hin­ter­grund sei „nicht aus­ge­schlos­sen”. Die FAZ berich­tet wei­ter, wie Medi­en Lis­ten von isla­mis­ti­schen Grup­pen aus­sen­de­ten, offen­bar in der Hoff­nung mit irgend­ei­ner Grup­pe ins Schwar­ze zu tref­fen. Oder alte Tex­te aus­gru­ben, die als Inhalt hat­ten, wel­che Gefähr­dung der poli­ti­sche Islam sei. Die The­se der FAZ: Es ist Al Qai­da gelun­gen, unser Den­ken zu bestimmen.


„Öster­reich”: Al-Kai­da unter Ver­dacht (Bild­quel­le: derstandard.at)

haGa­lil onLine, das größ­te jüdi­sche online-Maga­zin in deut­scher Spra­che, berich­tet in dem Arti­kel „Stim­men von ganz rechts” über die rech­ten Reak­tio­nen auf den Anschlag. So schreibt der mos­lem­feind­li­che und neo­kon­ser­va­ti­ve Blog „Extrê­me cent­re” noch am Sams­tag, den 23. Juli 2011, also als längst der rechts­extre­me Hin­ter­grund der Tat fest­stand, von einer „Isla­mi­sche Schläch­te­rei in Nor­we­gen”. Im Moment sind die rechts­extre­men und ras­sis­ti­schen Blogs bemüht, sich eiligst in Schuld­ab­wei­sung zu üben.


Rechts­extre­mer Ter­ror (Bom­ben­at­ten­tat auf dem Bahn­hof in Bolo­gna, dabei star­ben 85 Menschen)

Fakt ist, die Atten­ta­te in Nor­we­gen haben einen rechts­extre­men Hin­ter­grund, der Atten­tä­ter war Mit­glied der rechts­extre­men „Fort­schrit­s­spar­tei” in Nor­we­gen. Fakt ist auch, der rechts­extre­me Ter­ror hat immer schon Todes­op­fer gefor­dert. Sei­en es der Anschlag in Okla­ho­ma City mit 168 Toten, in Bolo­gna, bei dem 85 Men­schen star­ben, das Okto­ber­festat­ten­tat mit 13 Toten, die Anschlä­ge der Wehr­sport­grup­pe Hoff­mann, der Ter­ror in Südtirol/Alto Adi­ge vom „Befrei­ungs­aus­schuss Süd­ti­rol” (BAS) mit 15 Toten, Franz Fuchs (Ein­zel­tä­ter, aber des­we­gen nicht weni­ger Rechts­extre­mist) mit vier Toten. Oder jetzt der Anschlag in Nor­we­gen mit 93 Toten. Auch wur­den 1990 allein in Deutsch­land 149 Men­schen durch Neo­na­zis ermordet.