Ein bisschen Nazi?

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Kom­men­tar: Ein biss­chen Nazi?

Zunächst die gute Nach­richt: Die Spre­che­rin der Staats­an­walt­schaft Wien bestä­tig­te standard.at , dass gegen einen Tat­ver­däch­ti­gen wegen des rechts­extre­men Brand­an­schlags in Flo­rids­dorf ermit­telt wür­de. Jetzt die schlech­te: Es wer­de gegen wei­te­re unbe­kann­te Täter eben­falls ermit­telt. Die Ermitt­lun­gen bezie­hen sich auf den Ver­dacht des Ver­sto­ßes gegen das Ver­bots­ge­setz, auf Brand­stif­tung und Sach­be­schä­di­gung. Das Gros der Täter wur­de also noch nicht geschnappt!

Jetzt der unver­ständ­li­che Teil der Nach­richt. Der bekann­te Täter wur­de auf frei­em Fuss ange­zeigt! Nur zur Erin­ne­rung: Die Rechts­extre­men haben mehr­fach (!) ein Wohn­haus, in dem auch Migran­tIn­nen woh­nen, ange­grif­fen, mit Nazi-und Todes­pa­ro­len beschmiert und Brän­de gelegt. Der ers­te Brand hät­te durch­aus schwer­wie­gen­de Fol­gen für die Bewoh­ne­rIn­nen haben kön­nen, wur­de dem „Fal­ter” durch die Poli­zei bestä­tigt. Ein paar Tage spä­ter keh­ren die Täter noch ein­mal zurück und ver­su­chen neu­er­lich einen Brand zu legen! Den­noch befin­det sich der bekann­te Ver­däch­ti­ge auf frei­em Fuß! Kei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr? Kei­ne Tat­aus­füh­rungs­ge­fahr? Kei­ne Ver­dun­ke­lungs­ge­fahr? Kei­ne Fluchtgefahr?

Die Straf­an­dro­hung für die ver­mu­te­ten Delik­te ist hoch. Wür­de nach § 3f Ver­bots­ge­setz ange­klagt, dann liegt sie zwi­schen 10 und 20 Jah­ren Haft. Hängt die mil­de Beur­tei­lung der Haft­grün­de etwa mit der mil­den Ein­schät­zung des vor­ge­wor­fe­nen Haupt­de­likts (Wie­der­be­tä­ti­gung) zusam­men? Weil die Täter als Sauf­s­kins gel­ten, die zu blöd sind, um ihre Ver­bre­chen ein­schät­zen zu kön­nen? Dass sie nur ein biss­chen Nazis sind und zum Haupt­teil brand­ge­fähr­li­che Trottel?

In einem ande­ren Fall, einem Müll­kü­bel­brand vor dem AMS-Gebäu­de in der Rede­r­gas­se, gibt es mitt­ler­wei­le eine sechs­wö­chi­ge Unter­su­chungs­haft gegen die der Tat ver­däch­tig­ten Stu­die­ren­den. In die­sem Fall gibt es ein im Inter­net kur­sie­ren­des Beken­ner­schrei­ben einer „direk­ten akti­on“, das anti­ka­pi­ta­lis­tisch moti­viert sein soll. Die den Ver­däch­ti­gen vor­ge­hal­te­nen Delik­te sind Brand­stif­tung, Sach­be­schä­di­gung und ein ver­bre­che­ri­sches Kom­plott nach § 277 StGB (Straf­rah­men: bis zu 5 Jah­re Haft). Eine Aus­wei­tung auf § 278b (Bil­dung einer ter­ro­ris­ti­schen Ver­ei­ni­gung) wird überlegt.

Las­sen sich die Vor­fäl­le ver­glei­chen? Im Straf­rah­men mög­li­cher­wei­se, im Delikt selbst kaum. In dem einem Fall wer­den Men­schen kon­kret mit Mord bedroht, wer­den Brän­de in einem Wohn­haus gelegt, wer­den NS-Sym­bo­le geschmiert – in dem ande­ren Fall wird ein Müll­kü­bel vor einer AMS-Filia­le ange­zün­det und ein anony­mes Beken­ner­schrei­ben abge­setzt. In dem einen Fall ist der ein­zi­ge bekann­te Tat­ver­däch­ti­ge, ein Nazis­kin, auf frei­em Fuß, in dem ande­ren Fall sit­zen die Tat­ver­däch­ti­gen seit 6.Juli in U‑Haft.

Die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem AMS und der Arbeits­markt­po­li­tik über eine Brand­le­gung in einem Müll­kü­bel vor dem AMS zu suchen, dafür fehlt mir jedes Ver­ständ­nis. Hät­ten die Brand­stif­ter „stopptdierechten.at” gele­sen, dann hät­ten sie gewusst, dass weni­ge Wochen vor dem „anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen” Akt die Neo­na­zis ihre brau­nen Duft­mar­ken auch beim AMS Rede­r­stras­se abge­setzt haben – durch eine Schmieraktion.

Mir fehlt aber noch mehr jedes Ver­ständ­nis dafür, dass alle Täter einer kon­kre­ten Mord­dro­hung, Brand­stif­tung und Wie­der­be­tä­ti­gung auf der Stra­ße her­um­lau­fen kön­nen – egal, ob sie bekannt oder unbe­kannt sind.

Karl Öllin­ger

derstandard.at: Auf frei­em Fuß angezeigt

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